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Archiv-Artikel

Erfüllungsgehilfe einer diskriminierenden Politik

Der Lesben und Schwulenverband Berlin-Brandenburg fordert einen Einbürgerungs-Leitfaden nach dem Vorbild Baden-Württembergs

1829 verbot die britische Kolonialmacht in Indien die Praxis der Witwenverbrennung. Ein Triumph des aufgeklärten Geistes über dunkle Traditionen, will man arglos meinen. Dass diese Einschätzung viele Tücken hat, beobachtete die Theoretikerin Gayatri Spivak in ihrem Schlüsselessay „Can the Subaltern Speak?“. Das Gesetz der Briten gehört für sie zum Topos: „Weiße Männer retten braune Frauen vor braunen Männern“. Der Schutz der Frau diente den Briten dazu, sich als Träger der Aufklärung und Garanten der zivilisierten Gesellschaft zu präsentieren; sie behaupteten ihren Herrschaftsanspruch, indem sie eine scheinbar progressive Politik verfolgten. Diesen Mechanismus in Frage zu stellen, ohne die Witwenverbrennung als wesentlichen Bestandteil indischer Kultur zu rechtfertigen, kündet von einer Freiheit im Denken, die selbstverständlich sein sollte, doch heute rar geworden ist.

Denn auch wenn sich seit 1829 vieles verändert hat, erfreut sich der von Spivak beschriebene Topos großer Beliebtheit. Meist sind es Frauen, deren Belange instrumentalisert werden. Manchmal sind es auch Schwule und Lesben, deren Agenda benutzt wird, um wie jetzt in Baden-Württemberg einen Kontrollanspruch zu untermauern. „Wie hältst Du‘s mit der Homophobie?“ ist die Gretchenfrage, mit der die Dichotomie aufgeklärt vs mittelalterlich durchexerziert wird. Wenn dies in einem Bundesland geschieht, in dem noch vor Jahresfrist Gerüchte, Annette Schavan sei lesbisch, den Werdegang der Politikerin lähmten, so ist dies nur eine der vielen Tücken der Gretchenfrage.

Der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) indes legt auf solche Feinheiten keinen Wert. In dieser Woche hat er sich für die Einführung eines Einbürgerungs-Leitfadens nach dem Vorbild Baden-Württembergs ausgesprochen. Der Berliner Senat und die Potsdamer Landesregierung sollten die Voraussetzungen für eine Einbürgerung genau definieren, erklärte der Sprecher des Verbandes, Alexander Zinn. Bedingung müsse sein, dass Einbürgerungswillige sich zu individuellen Freiheitsrechten bekennen. Dazu zähle auch das Diskriminierungsverbot gegenüber Homosexuellen.

Trist an dieser Positionierung ist weniger, dass sich eine Minderheit auf Kosten einer anderen profiliert. Naiv wäre es zu glauben, dass Minderheiten solidarisch miteinander umgehen. Trist ist vielmehr, dass sich der LSVD in Berlin und Brandenburg zum Erfüllungsgehilfen einer diskriminierenden Politik macht und dabei vieles vergisst: Lief nicht die CDU auf Bundesebene gegen ein Antidiskrimierungsgesetz Sturm? Warum sollte man ihr jetzt zur Seite springen? Warum trifft man nicht offensiv mit der Forderung an die Öffentlichkeit, dass Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung als Asylgrund anerkannt werde? Warum entwickelt man nicht mehr Engagement, wenn es darum geht, homophobe Tendenzen unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Schulen und Jugendzentren entgegenzuwirken?

Statt sich auf diesen Feldern zu profilieren, gibt der LSVD in Berlin und Brandenburg dem Ressentiment nach. Er buckelt nach oben und tritt nach unten.

CRISTINA NORD