„Wir waren im Zentrum der Macht“

Früher war Manfred Zach (58) der Sprecher des Ministerpräsidenten Lothar Späth und hatte glänzende Aussichten auf eine Laufbahn als Politiker. Doch Späth stürzte, Zach wurde ein ganz normaler Beamter – und Schriftsteller. Ein Gespräch über Karriere, Glück und Zufriedenheit

INTERVIEW GEORG LÖWISCH

taz: Herr Zach, wem haben Sie heute in Ihrem Ministerium schon geschadet?

Manfred Zach: Noch niemandem. Der Alltag eines Ministerialbeamten ist nicht so spektakulär.

Ihr Roman über die Regierung von Baden-Württemberg und auch Ihr Theaterstück, das heute in Stuttgart uraufgeführt wird, sagen doch: Menschen im Machtapparat beschäftigen sich ständig damit, Karriere zu machen, Konkurrenten auszustechen.

Das will ich gar nicht in Abrede stellen. Ein großes Anliegen besteht nicht nur darin, Sacharbeit zu leisten, sondern den politischen Gegner möglichst klein zu halten. Aber jetzt bin ich ja schon lange nicht mehr an der vordersten Front, sondern im Sozialministerium.

Langweilen Sie sich?

Überhaupt nicht. Ich beschäftige mich mit Arbeitsmarktpolitik. Was tun wir gegen Langzeitarbeitslosigkeit? Wie können wir Arbeitsplätze für Geringqualifizierte schaffen?

Und Sie schreiben. Wird Ihnen in Stuttgart nachgesagt, dass Sie der Macht nachtrauern?

Das war eine Reaktion, als das Buch „Monrepos“ erschienen ist. Jetzt werde ich eher als Paradiesvogel gesehen, der Beamter und zugleich Autor ist. Und was mich betrifft: Ich bin heute glücklicher als an den Schaltstellen der Macht. Was ich schreibe, schreibe ich für mich. Nicht für den Regierungschef oder die Partei.

In Ihrem Stück „Schlossplatz“ gibt es eine intrigante Regierungssprecherin, die einen Mann von Polizisten aus dem Weg räumen lässt. Und ein Penner namens „Bottle Johny“ wird Innenminister. Beschreibt das den Zustand deutscher Politik?

Nein. Ich habe eine Situation darstellen wollen, die unwahrscheinlich ist, aber eine Konstellation beschreibt: Was passiert, wenn ein Mann aus dem Volk unmittelbar und übergangslos ins Zentrum der Macht kommt? In dem Stück geht das schief.

Am Anfang kommt der Mann aus dem Volk ganz gut klar.

Er betrachtet das als Spiel. Er hat noch die innere Freiheit, sich nicht vereinnahmen zu lassen. Und er scheitert in dem Moment, in dem er diese Freiheit verliert. Es gehört zu den Funktions- und Erfolgsmechanismen der Politik, dass ich mir die Freiheit zur eigenen Entscheidung nicht leisten kann. Das ist ein Widerspruch, der der Demokratie innewohnt. Denn Demokratie basiert auf Freiheit. Aber um zu funktionieren, muss sie sich in ein Korsett von Notwendigkeiten begeben. Für viele ist das kein Problem. Für die anderen stellt sich irgendwann die Frage: Zwänge ich mich in das Korsett, oder steige ich aus?

Bottle Johnny springt direkt von einer Welt in die andere. Welchen Veränderungsprozess durchlaufen Menschen in der Politik normalerweise?

Das erste Stadium ist, dass man sich fachlich profiliert. Dagegen ist auch gar nichts zu sagen. Das zweite Stadium ist, dass man in macht- oder parteipolitische Zwänge gerät. Im dritten Stadium wird man vor die Alternative gestellt, sich entweder zu verbiegen oder aber Nachteile fürs eigene Fortkommen in Kauf zu nehmen.

Und die Helden sind die, die sich nicht fügen?

So einfach ist es nicht. Wer aussteigt, hat etwas für seine Seele und seine Persönlichkeit getan. Aber es kann durchaus sein, dass einer unter anderen Gesichtspunkten gekniffen hat und ein Feigling ist.

In Baden-Württembergs Politik geschehen ja erstaunliche Sachen. Als Oettinger Teufel verdrängte, ohrfeigte dessen Staatsminister einen Widersacher. Und als die CDU zwischen Oettinger und Annette Schavan zu entscheiden hatte, kursierten Flugblätter mit der Behauptung, sie sei eine Lesbe. Kommt da nicht so eine Staatskomödie etwas brav daher?

Mag sein, dass die Wirklichkeit schlagzeilenträchtiger ist. Aber mein Ehrgeiz geht dahin, auszuloten, welche Folgen sich aus welchen Konstellationen ergeben. Das ist die Form des Theaters: nicht die Wirklichkeit, sondern die Möglichkeit.

In der Wirklichkeit sind ja gerade Wahlen im Südwesten. Was werden die spannendsten Momente sein?

Spannend wird sein zu sehen, wie die beiden Kontrahenten, der Ministerpräsident Oettinger und Ute Vogt von der SPD, mit dem Erwartungsdruck umgehen. Oettinger muss das sehr respektable Ergebnis seines Vorgängers erreichen. Die bundespolitischen Konstellationen dafür sind gut, also wird viel von ihm erwartet. Frau Vogt hat sich aufs Land konzentriert und muss zeigen, dass sie die erste Wahl der Opposition ist. Für beide ist es eine existenzielle Situation.

Was kennzeichnet Oettinger?

Er ist vom Typus her ein sehr urbaner Mensch, sehr offen auch für neue Strömungen. Im Grunde muss er die Leute überzeugen, dass er auch wertkonservativ ist. Dass er ein Leitbild hat. Erwin Teufel brauchte da niemanden zu überzeugen. Wir haben ja in Baden-Württemberg weite dörflich und ländlich geprägte Landstriche. Da muss er zeigen: Ich bin einer von euch.

Lothar Späth war immer bemüht, anderen Parteien Themen wegzunehmen. Kann man bei Oettinger Ähnliches beobachten?

So einfach wie bei Späth ist das Themenbesetzen und Hakenschlagen jetzt nicht mehr. Die Rahmenbedingungen waren besser. Die Situation in diesem Land ist zwar noch sehr gut, verglichen mit anderen Bundesländern. Aber im produzierenden Gewerbe sind sehr viele Arbeitsplätze verloren gegangen, und sie konnten nur zum Teil durch andere ersetzt werden. Der Ministerpräsident steht heute auch für Arbeitsplätze, die verloren gehen, und da ist Oettinger in einer Gesamtverantwortung.

Das heißt, der wunde Punkt der CDU ist: Baden-Württemberg ist Spitze, aber hat auch viel zu verlieren?

Richtig, es ist keine Selbstverständlichkeit, dass dieser Spitzenplatz gehalten wird. Die relativ einseitige Industriestruktur, die wir haben, macht uns beim Export stark, aber bedeutet auch eine Gefährdung.

Was ist, wenn Oettinger gewinnt? Sie haben mal geschrieben, im Sieg wohne der Keim der Niederlage. Die Entourage will mit Posten belohnt werden und geht.

Das stellt sich erst nach einigen Jahren ein. Ich habe so die Faustformel gefunden, dass ein Politiker nach zehn Jahren abtreten sollte. Das Risiko, von Fehlern der Vergangenheit eingeholt zu werden, steigt von Jahr zu Jahr. Und die Erwartungshaltung der Getreuen, selbst Karriere zu machen, wird immer drängender. Die Schwierigkeiten nehmen also zu, und die guten Leute werden weniger.

Wer trägt denn die Politik in Baden-Württemberg?

Die CDU hat sich gehalten, weil sie vom Arbeiter bis zum Unternehmer wählbar ist. Die Politik wird nach wie vor getragen von einem breiten bürgerlichen Mittelstand, der überzeugt ist, dass auch in Zukunft gut sein wird, was 40 Jahre für das Land gut war.

Gehören die Grünen auch zu diesem Mittelstand?

Die Grünen haben sich hier weit in die Mitte bewegt. Sie waren immer die Speerspitze der Realos. Für die Partei besteht aber im Bund jetzt die Chance, in der Opposition das Profil zu schärfen und für jüngere Wähler interessanter zu werden.

Also kein Schwarz-Grün in Stuttgart?

Ich glaube nicht an Schwarz-Grün. Die FDP kann sich hier in der Regierung als Wirtschaftspartei profilieren und in Berlin in der Opposition von sozialen Grausamkeiten distanzieren. Damit kann man spielen.

Würden die Grünen denn koalieren? Wenn man Ihr Stück betrachtet, geht es doch in der Politik ganz stark darum, Posten zu bekommen.

Jeder weiß, dass der Wähler es nicht mag, wenn als Erstes über Posten geredet wird. Deshalb folgen die Grünen jetzt erst einmal dem nötigen Ritual und sagen, dass es nur um Inhalte geht. Wenn dieses Ritual absolviert ist, geht es zentral um Personen und um Posten. Nur Personen in bestimmten Ämtern haben doch die Macht, Inhalte umzusetzen. Wer denn sonst?

Höhere Ämter als Motivation ist eines Ihrer Themen: Ein Fraktionsvorsitzender kann nur mit der Perspektive überleben, einmal Ministerpräsident werden zu können. Prägen Aufstiegswünsche die Politik?

Ich glaube, ja. Sicher nicht im ersten, zweiten und dritten Jahr. Aber wenn man lang Fraktionsvorsitzender ist, ist die Gefahr groß, das man in seinem Elan nachlässt und die Öffentlichkeit einen abschreibt. So entsteht ein Zwang, sich zumindest immer für Höheres zu empfehlen. Ob man’s erreicht, ist die zweite Frage. Aber Stillstand ist Abstieg.

Ist das auch ein Problem von Kanzlern?

Ein Kanzler oder eine Kanzlerin hat ja kein Amt über sich. Sie kämpfen dann darum, in die Geschichtsbücher zu kommen.

Träumt jeder Ministerpräsident eines großen Bundeslandes davon, einmal in Berlin einzuziehen?

Wenn sie das Gefühl haben, im Zenit zu stehen und bundespolitisch wahrgenommen zu werden, träumen sie alle einmal den Tagtraum von der Kanzlerschaft.

Provinzfürsten, die zu den Großen der Welt gehören wollen?

Die neue Generation von Ministerpräsidenten ist nüchterner. Die sehen nicht überall gleich den historischen Überbau. Aber viele brauchen das Gefühl, im Kreis der ganz Großen angesiedelt zu sein. Warum würde man sonst Audienzen beim Papst haben wollen? Warum würde man zu Staatsempfängen gehen, wenn ein gekröntes Haupt kommt?

Späth und Sie als sein Getreuer haben internationale Höhenflüge sehr genossen. Zum Beispiel 1988, als Gorbatschow Späth in Moskau empfing.

Das war sicher eine der Sternstunden des Ministerpräsidenten und seines damaligen Regierungssprechers. Wir haben ihm da so einen Roboter als Geschenk mitgebracht. Gorbatschow konnte damit überhaupt nichts anfangen, aber das Gespräch im Kreml vermittelte das Gefühl, dass wir im Zentrum der Macht der östlichen Hemisphäre wahrgenommen werden.

Sie haben gestoppt, wie lang das Treffen dauerte.

Es dauerte zwei Stunden, ich weiß die Zeit nicht mehr auf die Minute. Es kam damals darauf an, Strauß’ Moskaubesuch zu toppen, und das haben wir geschafft. Das war ein Glücksgefühl besonderer Art, ja.

Nehmen wir an, Helmut Kohl hätte Ende der 80er-Jahre einen Schlaganfall bekommen und die Union hätte Späth zum Kanzler gemacht. Was wäre dann aus Ihnen geworden?

Ich weiß nicht, was Späth dann mit mir vorgehabt hätte. Aber ich hätte mit Sicherheit eine politische Karriere angestrebt und auch bekommen. Als Schriftsteller hätte es mich nicht gegeben. Jetzt habe ich das Gefühl, etwas nur für mich zu tun und gleichzeitig für andere zu wirken. Dieses Gefühl hätte ich als Politiker sicher nicht. Der Himmel hat es gut gemeint mit mir.