: Frostharter Sizilianer
RADSPORT Beim Giro beeindruckt der führende Vincenzo Nibali durch seine Nehmerqualitäten
MORI taz | Vincenzo Nibali steht vor seinem ersten ganz großen Erfolg. Den Ritterschlag erhielt der 28-jährige Sizilianer aber schon ein paar Tage vor dem Ende des Giro d’Italia – von Miguel Indurain. „Nibali ist ein kompletter Rennfahrer, stark in den Bergen und stark im Zeitfahren. Er hat viel Erfahrung, er ist ein würdiger Träger des rosa Trikots“, meinte der Spanier, der selbst zweimal den Giro gewann und fünfmal die Tour. Als seinen wahren Nachfolger nannte Indurain aber Bradley Wiggins. „Er ist groß gewachsen wie ich, gut im Zeitfahren und kann auch sehr gut klettern. Die anderen, die heute mit vorn sind, sind alle bessere Kletterer, als ich es war. Und damit ist Wiggins der Fahrer, der mir am ähnlichsten ist“, begründete Indurain am Ende der 17. Etappe des Giro d’Italia in Vicenza seine Wahl.
Der Mann, der wie Indurain zu sein scheint, hat aber immerhin den Dopingarzt Geert Leinders nicht mehr in seiner Entourage. Indurain dagegen war zeit seiner Karriere Klient beim auffällig gewordenen Mediziner Sabino Padilla. Nach neuesten Informationen hat er auch mit Francesco Conconi, dem berüchtigten akademischen Vater des noch berüchtigteren Michele Ferrari, zusammengearbeitet. Ein weiterer Unterschied: Wiggins kehrte dieser Tage dem Giro den Rücken zu. Weil er weniger robust ist als der „spanische Stier“, bremste ihn eine Infektion aus.
Durchaus nicht ohne Häme kommentierte Dopingarzt Michele Ferrari in seinem Blog 53x12.com: „Fahrer wie Wiggins und Hesjedal, die die Prototypen der neuen Fahrergeneration sind und auf deren Fragilität ich schon vorher hingewiesen habe, waren die Ersten, die den Preis für diese Wetterbedingungen gezahlt und den Giro bereits verlassen haben. Sie sind sehr schlank und vielleicht etwas zu dünn. Daher sind sie Wind und Kälte mehr ausgesetzt als kompakter gebaute Sportler.“
Ein solcher kompakterer Mann ist Vincenzo Nibali. Der Sizilianer beeindruckte nicht nur mit unablässigen Attacken selbst im rosa Trikot. „Es ist meine Natur zu attackieren, wenn das Terrain es zulässt“, sagte er der taz. Er gewann auch den Kältewettbewerb in den Alpen. Während die Konkurrenz sich durchgefroren zum Galibier hochkämpfte, stiefelte Nibali mit seinem Landsmann Mauro Santambrogio den Berg hoch, als sei tatsächlich der Frühling ausgebrochen. Er gewann auch den inoffiziellen Freezeman-Wettbewerb mit Christian Knees. Der Sky-Helfer war schon stolz darauf, eine Alpenetappe als einer der wenigen im Peloton ohne Handschuhe gefahren zu sein – Nibali aber bewältigte kurzärmlig das Finale! Dem frostharten Mann von der Sonneninsel Sizilien scheint niemand beikommen zu können.
Als einziger Rivale verbleibt Cadel Evans, der allerdings bei zwei Anstiegen Schwächen erkennen ließ. Zudem kann sich Nibali auf wechselnde Allianzen verlassen. Am Galibier klappte die Zusammenarbeit mit Santambrogios Team Vini Fantini bestens. Zwei Tage später fuhr Nibalis Astana-Truppe gemeinsam mit Lampre Santambrogio aus den Top Fünf. „Die Allianzen wechseln hier täglich. Für uns muss das nicht nachteilig sein“, meinte Astana-Teamchef Giuseppe Martinelli. Er glaubt, den Giro „schon ein kleines Stück erobert“ zu haben.
Nibali blickt bereits weiter: „Ich freue mich auf ein Duell mit Alberto Contador bei der Vuelta in diesem Jahr und der Tour de France 2014.“ Er scheint sich bereits auf einer Höhe mit dem zweimaligen Tour-de-France-Sieger zu sehen. TOM MUSTROPH