: Zeichen der Vergänglichkeit
PRESSEFREIHEIT Ein Streit in der usbekischen Elite eröffnet neue Freiräume. Künstler und Journalisten können endlich ihr Menschenrecht auf Meinungsfreiheit nutzen und machen auch davon Gebrauch
AUS BISCHKEK MARCUS BENSMANN
Umida Achmedowa traut sich was. Es fühlt sich toll an, die Angst zu ignorieren. Das ist wie Adrenalin, sagt die Fotografin aus Usbekistan. Zusammen mit weiteren Künstlern plaudert sie auf YouTube am Teetisch kritisch über Politik. Die wöchentlich in Usbekistan aufgezeichnete Talkshow heißt „Shoot me“ – „Erschieß mich“. Dabei kennt Achmedowa die Repression in ihrem Land nur zu gut. Die Fotografin wurde 2010 wegen ihrer Arbeiten verurteilt. Und solche im Netz übertragende Gespräche sind nicht ungefährlich.
Usbekistan unter dem seit 1989 herrschenden Präsidenten Islam Karimow gehört zu den Staaten, in denen freie Meinungsäußerung oder unabhängige Zivilgesellschaft vollständig unterdrückt sind. Seit dem Massaker von Andischan, als der usbekische Diktator im Mai 2005 Panzerwagen zur Niederschlagung eines Volksaufstands in die usbekische Provinzstadt schickte und viele Hunderte Zivilisten tötete, vertrieb die Staatsmacht die Journalisten aus dem Land, viele wurden verhaftet, die ausländischen Korrespondenten von BBC, Deutsche Welle oder Radio Free Europe des Landes verwiesen. In dem bevölkerungsreichsten Land an der Seidenstraße, wo sich eine hemmungslose Elite an den Reichtümern bereichert, in den Gefängnissen nach UN-Angaben systematisch gefoltert wird und Tausende in Lagern einsetzen, steht unabhängiger Journalismus unter Strafe.
Karimow muss sich deswegen nicht sorgen. Der usbekische Diktator hat mit den USA, mit Europa und vor allem mit Deutschland mächtige Freunde. Usbekistan ist trotz der Menschenrechtsverletzungen ein wichtiger Partner in der Nordversorgungsroute der Nato für den Afghanistankrieg. Die Bundeswehr unterhält in der südusbekischen Grenzstadt Termes eine Luftwaffenbasis. Der in diesem Jahr beginnenden Rückzug soll ebenfalls über Usbekistan verlaufen.
Doch die monolithische Herrschaftsstruktur bekommt Risse. Karimow wurde in diesem Januar 75 Jahre alt und Krankheitsgerüchte machen die Runde. In der usbekischen Elite brodelt ein Nachfolgekampf. Die exzentrische älteste Tochter des Diktators, Gulnara Karimowa, attackierte im März über den Mikroblogging-Dienst Twitter den möglichen Konkurrenten Rustam Asimow, Vizepremier und langjähriger Gefährden des Vaters, als korrupt. Die Angriffe der Tochter, die gerade in der Schweiz und Schweden in einem Millionenschweren Schwarzgeldskandal verwickelt ist, verhallen bisher und Asimow genießt weiterhin das Vertrauen des Vaters. Aber noch nie zuvor hat sich die Elite in Usbekistan vor Publikum gezankt. Das hat Folgen. Nicht nur die Künstler, auch zuvor brave Webseiten aus Usbekistan zeigen mehr Mut.
Das Nachrichtenportal Gazeta verhöhnt im April das Fotografieverbot für harmlose Gebäude in Taschkent als paranoid. Einige Medien, selbst die in gedruckter Form, kritisieren das in diesem Frühjahr erlassene Fahrradverbot in der usbekischen Hauptstadt und die Demontage von Privatgaragen. Die Seite Uzmetronom.com vermeldete, dass die Präsidententochter vom UN-Botschafterposten in Genf abgezogen wurde. Gulnara Karimowa konnte diese Meldung nur dementieren, aber Seite und Autor blieben unbehelligt. Bisher war es nur möglich auf Webseiten von außerhalb Kritisches über Usbekistan zu veröffentlichen. Im April ging ein Privatfernsehsender ans Netz.
Nach wie vor sitzen Journalisten wie Salidschon Abdurachmanow im Gefängnis oder fliehen aus dem Land. Elena Bondar erhielt erst nach internationalem Druck in dem Nachbarland Kirgistan von dem UN-Flüchtlingswerk einen Asylstatus. Die Journalistin aus Usbekistan hatte für Exilmedien geschrieben und wurde zu hohen Geldstrafen verurteilt.
Aber die Streit in der usbekischen Elite und die Nachfolgediskussion in Usbekistan hat Freiräume eröffnet, den Künstler und Journalisten zu nutzen beginnen.