: Chávez, der Held der Podien
Beim Sozialforum in Caracas ist Venezuelas Präsident allgegenwärtig – als Vorbild und auch als Teilnehmer. Nur einigen kleinen Gruppen ist die ungewohnte Nähe zur Staatsmacht suspekt
VON BERND PICKERT
Es ist wieder so weit. Parallel zum Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos treffen sich auch in diesem Jahr linke Gruppierungen jeglicher Couleur, Nichtregierungsorganisationen, GewerkschaftlerInnen und viele andere mehr zum Weltsozialforum (WSF) 2006 – allerdings zum ersten Mal nicht an einem einzigen Ort, sondern sowohl in Bamako, Mali als auch in Caracas, Venezuela. Ein drittes Forum, das eigentlich zeitgleich im pakistanischen Karatschi stattfinden sollte, musste wegen der Folgen des schweren Erdbebens verschoben werden. Jetzt soll es Ende März stattfinden.
Die Verlagerung weg von einer zentralen Tagungsstätte – seit Beginn der Weltsozialforen 2001 war dies viermal das brasilianische Porto Alegre und einmal das indische Bombay – war Ergebnis einer langen Diskussion des Internationalen Rates, also des Koordinierungsgremiums der Weltsozialforen, vor dem letzten Forum in Porto Alegre. Nach Jahren des Wachstums stagnierte die globalisierungskritische Bewegung in den Jahren 2003 und 2004. Die Organisation der Mammuttreffen im Jahresrhythmus schien zu viel Kraft zu kosten. Statt aber das Forum nur alle zwei Jahre stattfinden zu lassen, wie einige vorgeschlagen hatten, einigte sich der Internationale Rat darauf, erst 2007 wieder ein zentralen WSF, voraussichtlich in Nairobi, Kenia, abzuhalten. 2006 wollte man eine neue, dezentrale Struktur erproben.
Lateinamerika, in Porto Alegre stets die dominierende Region, dürfte auch in diesem Jahr das teilnehmerstärkste Forum werden. Auch die deutsche Linke – in Porto Alegre stets mit ein paar hundert TeilnehmerInnen vertreten – interessiert sich dieses Jahr nur für Lateinamerika.
Dass man sich ausgerechnet in Caracas trifft, der Hauptstadt des „bolivarischen“ Venezuela des Hugo Chávez, ist kein Zufall. Es könnte aber zur Hypothek werden, wenn das WSF von außen als chavistische Jubelveranstaltung wahrgenommen wird.
Gleich dreimal wird Chávez selbst im Rahmen des Forums auftreten. Das Organisationskomitee war stark von Chávez-Leuten durchsetzt, Geld spielte bei der vom Ölstaat Venezuela unterstützten Vorbereitung keine Rolle. Bei den wieder eingeführten zentralen Diskussionsveranstaltungen sitzt stets mindestens ein Chavista mit auf dem Podium. So wird etwa Pavel Rondón, in Chávez’ Kabinett Vizeminister für Lateinamerikafragen, am kommenden Donnerstag ausführlich Gelegenheit bekommen, Venezuelas Idee von einer „Bolivarianischen Alternative für Lateinamerika“ (Alba) vorzustellen. Selbst Kubas Parlamentspräsident Ricardo Alarcón ist zu einem Podium geladen, sinnigerweise über „Imperiale Strategien, Militarisierung und Volkswiderstände“.
Das ist neu für die WSF-Bewegung, die zwar vor drei Jahren den frisch gewählten brasilianischen Präsidenten Lula und letztes Jahr Chávez als Hoffnungsträger feierte, das Forum selbst aber von Regierungsmitgliedern frei hielt – auch wenn die WSF-Charta es erlaubt, Regierungsmitglieder aus dem Gastgeberland einzuladen, wenn sie die Prinzipien der WSF teilen.
Kein Wunder, dass es zum ersten mal in der Geschichte der lateinamerikanischen WSF diesmal eine kleine Abspaltung gibt: Im „Alternativen Sozialforen“ rufen vor allem anarchistische Gruppen zur Diskussion auf: „Aus der Erfahrung früherer Veranstaltungen haben wir gute Gründe zu der Annahme, dass das WSF in Caracas nicht jenes vielfältige, selbst organisierte, offene, unabhängige und partizipative Treffen wird, als das es angekündigt ist,“ schreiben die OrganisatorInnen.
Die Treffen in Afrika und Lateinamerika werden einige Unterschiede deutlich machen. Afrika war bei den bisherigen Foren fast gar nicht vertreten. Insofern ist Bamako für die Vernetzung unterschiedlicher Gruppen aus verschiedenen afrikanischen Ländern tatsächlich Neuland. Freilich gleichen sich einige der thematischen Bereiche: In Mali und Caracas geht es nicht zuletzt um die Verfügungsgewalt über Rohstoffe und natürliche Ressourcen, sei es nun Wasser oder Öl, Erdgas oder Diamanten. Auch Fragen von Krieg und Frieden und Kritik am Neoliberalismus stehen in beiden Foren auf dem Programm.
Lateinamerika hat in den vergangenen zehn Jahren einen extrem starken Vernetzungsprozess durchlaufen: Der „Wasserkrieg von Cochabamba“ in Bolivien etwa ist inzwischen allen Gruppen, die zum ähnlichen Thema arbeiten, ein Begriff und stand im Ende 2004 Pate für das erfolgreiche Referendum gegen die Wasserprivatisierung in Uruguay. In Afrika fängt diese Vernetzung erst an. Wenn sich einige der WSF-Mitgründer heute Gedanken darüber machen, dass die dezentrale Struktur es erschwert, gemeinsame Kampagnen zu planen, dann ist das vor allem ein Zeichen dafür, dass sie an Afrika bislang überhaupt nicht gedacht hatten.
Sicher wird es schwierig sein, nach den WSF eine eindeutige Bilanz zu ziehen. Wenn aber die Entwicklung der sozialen Bewegungen in Lateinamerika ein Indiz dafür ist, was Vernetzung bringen kann, dann ist die Idee der Weltsozialforen noch lange nicht überholt.