: Trouble in Timbuktu
WESTAFRIKA Mali gilt als Wunderkammer der Weltmusik, das größte Kapital des Landes ist seine kulturelle Vielfalt. Doch der Krieg hat auch die Musikszene tief gespalten. Eine Spurensuche, von Kidal bis Bamako
VON STEFAN FRANZEN
Knapp fünf Monate ist es her, dass französische Truppen in Mali einrückten und die radikalislamistischen Milizen, die den Norden besetzt hatten, in die Flucht schlugen. Von Frieden ist das Land, das vielen im Westen als Wunderkammer der Weltmusik gilt, aber noch weit entfernt.
Der Konflikt hat auch die Region Niafunké, von wo aus der verstorbene Gitarrist Ali Farka Touré einst mit seinem „Desert Blues“ seinen Siegeszug um die Welt antrat, erschüttert. Der Gitarrist und Sänger Samba Touré, ehemaliges Mitglied in Ali Farka Tourés Band, ist dort zu Hause. „Als die Kämpfe ausbrachen, hatte ich alle Hände voll zu tun, meine Familie und Verwandten in den Süden zu bringen“, erzählt er.
„Die Ältesten konnten nicht reisen und wurden so Zeuge von Vergewaltigungen und Folterungen. Schulen und Krankenhäuser wurden geplündert und zerstört. Es war ein Schock für uns, dass unsere Nachbarn von gestern plötzlich die Waffe gegen uns richteten. Diese Leute sind mit uns aufgewachsen, sie haben die Probleme der Region mit uns geteilt!“, empört er sich.
Kurzlebiger Staat Azawad
Doch der Konflikt reicht weit zurück. Anfang 2012 waren im Norden Malis die Tuareg-Aufstände, die seit Mitte der Neunzigerjahre befriedet zu sein schienen, wieder aufgeflammt. Soldaten der malischen Armee putschten deshalb im März des vergangenen Jahres gegen die Regierung, der sie Untätigkeit vorwarfen. Die Tuareg-Rebellen der Nationalen Befreiungsbewegung von Azawad (MNLA) nutzten das Machtvakuum, um blitzartig wichtige Städte im Norden zu besetzen und dort den unabhängigen Staat Azawad auszurufen, von dem sie immer geträumt hatten.
Doch rasch entstand eine zweite Front: Radikalislamische Gruppen wie Ansar Dine und Kämpfer von al-Qaida im Maghreb kündigten ihre anfängliche Allianz mit den Tuareg-Rebellen der säkularen MNLA auf und führten in den Städten des Nordens, von Gao bis Timbuktu, mit Scharia-Strafen ein Schreckensregime ein. Sie verboten jegliche Musik, störten Radiosender, zertrümmerten Stereoanlagen und duldeten selbst auf den Handys nur noch Koransuren. Sie zerstörten auch die Gräber muslimischer Volksheiliger, die wertvolle Bibliothek von Timbuktu ging in Flammen auf.
Terror am heiligen Ort
Samba Touré kann das bis heute nicht fassen: „Wie können diese Banditen zu einem heiligen Ort wie Timbuktu kommen und vorgeben, uns zu lehren, wie wir den Islam zu praktizieren haben?“, fragt er. In Wirklichkeit sei es den Rebellen darum gegangen, einen Durchgangsstaat für ihren Drogenhandel zu schaffen, glaubt er. Forderungen der Tuareg nach Unabhängigkeit lässt Touré nicht gelten: „Mit dem gleichen Recht könnten wir Songhai oder auch die Peul, Dogon oder Bozo einen eigenen Staat fordern“, findet er. Außerdem sprächen die Rebellen nur für eine Minderheit der Tuareg. „Die sind unsere Brüder und werden es bleiben. Sie waren die Ersten, die unter dem Konflikt leiden mussten. Nun müssen viele von ihnen in armseligen Flüchtlingslagern vegetieren“, sagt er.
Über 400.000 Malier waren zeitweise auf der Flucht vor den Kämpfen. Als sich Frankreich entschloss, mit seiner Armee in Mali einzugreifen, konnte es die Islamisten innerhalb weniger Wochen vertreiben. Doch dieser rasche Erfolg täuscht, weiß Samba Touré. „Die Situation im Norden ist alles andere als sicher“, warnt er. „Einige Rebellenbanden wurden zerschlagen. Aber im Hintergrund lauern andere Terroristen, und sie spalten sich in immer mehr Gruppierungen auf. Nach wie vor kann alles passieren.“ „Albala“ („Gefahr“) hat der Touré sein neues Album genannt. Darauf wendet er sich in dem Song „Fondora“ direkt an die Rebellen und verteidigt die Einheit des Staates, sein Songhai-Blues klingt düster und traurig.
Ousmane Ag Mossa, der Leader der Band Tamikrest, betrachtet den Konflikt von einer anderen Warte. Der Targi stammt aus Kidal, einer abgelegenen Siedlung nahe der algerischen Grenze, mitten in der Sahara. „Die Sicherheitslage ist okay“, sagt er. „Aber die Grenze nach Algerien ist geschlossen – und wir hängen von den Lebensmitteln ab, die von dort kommen.“
Tuareg in der Klemme
Mehr denn je sitzen Tuareg wie er nun zwischen allen Stühlen. Ousmane Ag Mossa klagt, dass Angehörige der malischen Armee seine Leute erpressten, aber auch, dass die Islamisten seine Musikerkollegen gefoltert und ihr Equipment zerstört hätten. Die Präsenz ausländischer Truppen provoziere nun Anschläge der Rebellen, fürchtet der Lockenkopf: „Wir haben nie Probleme mit anderen Völkern gehabt. Differenzen gab es immer nur mit der malischen Regierung, die falsche Informationen über uns verbreitet.“ Auch er ist zumindest für ein autonomes Azawad – aber auf friedlichem Wege.
„Es ist immer besser, wenn wir unsere Probleme friedlich regeln“, sagt er. „Doch es kommt vor, dass wir gezwungen sind, zur Waffe zu greifen.“ Tamikrest, betont er ausdrücklich, haben als Musiker Privilegien, sie können reisen und die Infrastruktur im Westen nutzen. Im September wird ihr neues Album erscheinen. Wie schon zuvor arbeiten sie dafür mit dem Gitarristen Chris Eckman von den Walkabouts zusammen.
Auch wenn die Animositäten zwischen den Volksgruppen unübersehbar sind, beschwören manche Künstler noch immer unerschütterlich das friedliche Miteinander: Im Januar, fast zeitgleich mit dem französischen Einmarsch in Mali, versammelte die Sängerin und Songwriterin Fatoumata Diawara 40 der prominentesten Musiker ihres Landes in der Hauptstadt Bamako. Gemeinsam mit weltbekannten Größen wie dem blinden Sängerpaar Amadou und Mariam, dem Kora-Virtuosen Toumani Diabaté und der Wassolou-Sängerin Oumou Sangaré sang die 30-jährige Newcomerin dort die Friedenshymne „Mali-ko“ ein.
Friedenshymne aus Paris
„Ich wollte mit meinem Lied ein Signal dafür setzen, dass wir alle zusammen handeln müssen“, sagt sie rückblickend. „Die Menschen im Süden müssen wissen, dass die Musik im Norden verboten wurde und dass viele Tuareg mit ihren Frauen und Kindern flüchten mussten“. Es sei wichtig gewesen, diese Information zu verbreiten, sonst hätte ein „Genozid“ gedroht, glaubt sie.
Seit 15 Jahren lebt Fatoumata Diawara in ihrer Wahlheimat Paris und ist dort mit sanften Afroballaden in den letzten Jahren zum Weltmusikstar aufgestiegen. „Wir besitzen gemeinsam einen Reichtum, der nicht zerstört werden darf“, appelliert sie an ihre Landsleute in der Heimat. Fast trotzig fügt sie hinzu: „Wir dürfen die Stabilisierung des Landes nicht der Regierung überlassen, sondern müssen uns alle zusammen für den Frieden einsetzen.“ Diawara betont, dass sie ihre „Tuaregschwestern und -brüder“ liebe, und gibt sich überzeugt, dass Mali auch in Zukunft seine Kraft und Stärke weiter aus seiner kulturellen Vielfalt schöpfen werde.
Islamistische Verlockung
Bloßer Zweckoptimismus aus der europäischen Ferne? Die meisten ihrer Kollegen sehen die Lage differenzierter und schwanken zwischen vager Hoffnung und Unbestimmtheit. Die Sängerin und Songwriterin Rokia Traoré, als Diplomatentochter in Afrika wie in Europa gleichermaßen zu Hause, sieht die Ursachen des Mali-Konflikts in einem breiten Versagen der malischen sowie der französischen Politik. Was einer friedlichen Zukunft hauptsächlich im Wege stehe, sei aber die Armut in der Region. Mit ihren einfachen Versprechungen nach einem himmlischen Paradies würden fundamentalistische Kräfte ihren Einflussbereich klammheimlich bis nach Bamako ausweiten, wo gewisse Politiker eine schleichende Islamisierung des Landes billigend in Kauf nehmen würden, warnt sie. Ihre Hoffnungen ruhen auf jenen, die sie für die kulturellen Leistungsträger Malis hält, in der Musik wie in der Literatur oder im Film (siehe Porträt Seite 4).
Furcht vor dem Gottesstaat
Malis Grandseigneur, der 63-jährige Albino-Sänger Salif Keita, hingegen zeichnete Anfang des Jahres im Malis Staatsfernsehen ein unverhohlen resigniertes Szenario für die heimische Musikszene. „Die Religion ist dabei, sich in die Politik einzumischen. Sollte Mali ein Gottesstaat werden, ist das das Aus für uns Musiker, die schon unter der Raubkopiererei zu leiden haben. Das wird unser Leben noch zusätzlich erschweren“, orakelte er. „Daher will ich auch nicht, dass eines meiner Kinder in meine Fußstapfen tritt und Musiker wird“, setzte der 63-Jährige hinzu.
Noch ist völlig offen, ob Mali nach dem Einmarsch ausländischer Truppen wieder zu voller staatlicher Souveränität zurückfinden und als territoriale Einheit bestehen bleibt. Einiges hängt vom Ausgang der für diesen Juli geplanten Wahlen ab. Sie werden zeigen, ob sich das Land auf den Friedenspfad macht – oder gar den Weg zum Gottesstaat einschlägt, wie manche fürchten. Ob es bei dem Termin bleibt, scheint aber noch fraglich, da immer noch Zehntausende der Flüchtlinge aus Mali nicht in ihre Heimat zurückgekehrt sind und die Tuareg-Rebellen von der MNLA ihre Waffen nicht niederlegen wollen, solange es keine echten Verhandlungen mit der Regierung in Bamako gibt.
Bei all diesen humanitären und politischen Unwägbarkeiten steht viel auf dem Spiel – es geht um die Zukunft eines der in kultureller Hinsicht reichsten Länder des Kontinents.