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Archiv-Artikel

„Fast überall verloren“

Medienexperte Lutz Hachmeister fordert eine zentralisierte Aufsicht für Rundfunk, Telefonie und Internet. Der Fall Springer habe gezeigt: „Das deutsche Modell ist nicht mehr zeitgemäß“

INTERVIEW STEFFEN GRIMBERG

taz: Herr Hachmeister, ist die deutsche Medienaufsicht mit der Konzentrationskommission KEK und den 15 Landesmedienanstalten noch zeitgemäß?

Lutz Hachmeister: Nein. Das sieht man schon am Konkurrenzverhältnis zwischen den Landesmedienanstalten und der KEK aktuell im Fall Springer. Das wird inzwischen ja ganz öffentlich ausgetragen. Bis hin zur Drohung der Landesmedienanstalten, die KEK zu überstimmen und sie damit irrelevant zu machen. Die KEK hat es mit ihren merkwürdigen Rechenmodellen und Interpretationen zur Wirkungsforschung ihren Kritikern auch nicht allzu schwer gemacht.

Das gilt für den konkreten Fall Springer. Aber es liegen doch schon Vorschläge auf dem Tisch, nach denen die Kompetenzen der Landesmedienanstalten und der KEK in einem neuen Gremium gebündelt werden sollen.

Dennoch bleibt das Neben- und Gegeneinander der vielen Behörden und Gremien, die hier mit Medienaufsicht zu tun haben: Landesmedienanstalten, Rundfunk- oder Fernsehräte bei den Öffentlich-Rechtlichen, Kartellamt, Wirtschaftsministerium. Das ist das eigentliche Problem. Seit Anfang 2006 gibt es auch noch die Bundesnetzagentur, die aus der alten Telekommunikationsaufsicht hervorgegangen ist und wegen ihrer Zuständigkeit für das Telefonnetz auch im Medienbereich unterwegs ist. Gehen Sie da mal auf die Website, da heißt es in der Selbstdarstellung: „Die Netzagentur ist eine Wurzelbehörde nach dem Signaturgesetz.“ Diese juristische Formalsprache sagt viel aus über dieses Denken.

Wenn schon keine „Wurzelbehörde“, was braucht es dann?

Ich glaube, dass in Deutschland keine Lösung an einer zentralen hoheitlichen Institution für die Medienaufsicht vorbeikommt. Das gibt es in den USA und Kanada, in Großbritannien, das gibt es selbst in der Schweiz. Und bei allem Respekt vor der föderalen Tradition in Sachen Medien: Das deutsche Modell ist nicht mehr zeitgemäß. Aus standortpolitischen Gründen mag das vielleicht noch mal in den 1980er-Jahren Sinn gemacht haben, als das Privatfernsehen entstand. Aber heute brauchen wir eine Institution wie die Ofcom in Großbritannien, die alle Kompetenzen in zentralen Fragen von Telefonie und Internet bis hin zum Rundfunk inklusive der öffentlich-rechtlichen Sender bündelt.

Und wie wollen Sie so eine Zentralinstanz durchsetzen?

Ich muss sie ja nicht durchsetzen, das ist Aufgabe der Medienpolitik. Natürlich werden die KEK und die Landesmedienanstalten an Gesprächen beteiligt werden müssen, um solch eine neue zentrale Institution zu schaffen. Und das wird ein langwieriger Prozess. Wenn man diese Gespräche nicht mit den bestehenden Institutionen gemeinsam führt, wird das nicht klappen. Es wird ohnehin schwer sein, sie gegen bestimmte mentale und intellektuelle Blockaden durchzusetzen. Da geht es ja auch um Posten, um Gelder.

Forderungen wie die Ihre gibt es immer mal wieder – und dann tut sich nichts.

Man sieht aber, wie sich die deutsche Kommunikationsbranche seit den 1970er-Jahren entwickelt hat. Sie hat auf fast allen Feldern verloren: bei den Geräten, den Netzen und erst recht beim Export von Ideen und Inhalten. Im deutschen Fernsehen dominieren als Konsequenz Ideen aus dem Ausland. Auch aktuell sind zu viele Investments rückwärtsgewandt. Springer zum Beispiel. Viele Medienökonomen sagen: Diese Idee – fusionieren wir doch noch mal Fernsehen und Boulevardpresse, und dadurch ergeben sich dann Überschusseffekte – stamme eben auch eher aus den Zeiten von Verlagsgründer Axel Cäsar Springer.

Über Organisation und Kompetenzen der Medienaufsicht bestimmt zunächst aber ja die Medienpolitik.

Ja, aber wo ist die denn? Jemand müsste so eine Reform konkret auf den Weg bringen – das könnte der Staatsminister für Kultur und Medien sein, der Wirtschaftsminister oder auch die Landesmedienanstalten gemeinsam mit der KEK. Aber wir haben da überall eher Blockaden und Konkurrenzverhältnisse.

Also ein aussichtsloses Unterfangen?

Nein, wir brauchen eine zentrale Institution. Und in zehn Jahren wird es sie geben. Aber vor allem muss es die Branche selber wollen. Zudem haben wir beim Thema Rundfunk noch einen weiteren Graben – den zwischen ARD/ZDF und den Privaten. Das ist für eine koordinierte Medienpolitik aber nicht sinnvoll.

Bei der sich alle wieder vorab einigen und dann ihre Forderungen an die Politik stellen?

Nein, ich meine damit keine formierte Medienindustrie wie wir sie in der Ära Kohl zwischen Kirch, Bertelsmann und der Politik hatten. Das war ja geistig und in vielen Fällen – siehe die Beraterverträge – auch materiell korrumpiert. Wir brauchen eine Medienpolitik, die beides in den Griff bekommt: internationale Leitungsfähigkeit der Industrie und die Vielfaltsicherung und Freiheit des Journalismus. Das schließt sich ja nicht aus, sondern bedingt sich.

Geht das wirklich unter einen Hut?

Ja, die Branche muss verbindlich gesagt bekommen, was geht und was nicht geht. Natürlich wird es immer Fälle geben, in denen man noch verhandeln kann. Aber der Fall Springer zeigt doch, dass wir eine große Unsicherheit auf diesem Feld haben. Trotz all der zuständigen Gremien und einer hohen Verrechtlichung, die suggeriert, es gebe klare Strukturen. Die gibt es aber nicht.