Schluss mit mittendrin

Weil sie mehr kritische Recherche fordern, sind 24 Sportjournalisten jetzt aus ihrem Verband ausgetreten

Es war kein aggressives Spiel. Kein Reingrätschen, keine üblen Fouls, keine Beleidigungen. Als Jens Weinreich, Sportchef der Berliner Zeitung und Initiator des neu gegründeten Sportnetzwerks (siehe taz vom 20. Januar), am Samstag in Berlin seine Initiative vorstellte, vermied er alle aggressiven Töne gegenüber dem Verband deutscher Sportjournalisten (VDS). Dennoch präsentierte er etwas, das die Granden des VDS schmerzen müsste: einen offenen Brief, in dem 24 bekannte JournalistInnen ihren Austritt aus dem Verband vollziehen.

Der offene Brief markiert das Ende einer Entwicklung, die sich mit der Gründung des Sportnetzwerks angekündigt hatte. Die Unterzeichner, zu denen neben der halben Sportredaktion der Süddeutschen Zeitung auch Redakteure von FAZ, Welt und Rundfunkjournalisten gehören, legen darin ihre Kritik am Großverband dar. „Es geht um Grundfragen des Journalismus, auf die eine berufsständische Organisation wie der VDS eine Antwort finden sollte. Diese vermissen wir auf breiter Front“, heißt es dort. „Uns geht es um Recherche statt Quote, um Distanz statt Nähe, um Analyse statt Stimmungsmache, um Berichterstattung statt Präsentation – also um journalistische Qualitätssicherung.“ Der Austritt sei „ein Hilferuf“, sagte Weinreich. Man habe jahrelang erfolglos versucht, eine Qualitätsdebatte im VDS anzustoßen.

Zwar sei mangelnde Qualität in Zeiten wirtschaftlicher Zwänge ein allgemeines journalistisches Problem. Doch im kommerzialisierten Sport, wo Journalismus oft mit Fantum gepaart ist, werde unabhängige Recherche immer seltener. „Es gibt zu viele Fans in unserem Job“, meint Thomas Kistner, Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung.

Bezeichnend für diese Entwicklung ist etwa der DSF-Slogan „Mittendrin statt nur dabei“. So richtete sich die Kritik der Netzwerker besonders an die TV-Kollegen. „Verführt wurde der Sportjournalismus vom Fernsehen“, befand Michael Gernandt, Ex-Sportchef der SZ. „Wir reden bei Fernseh- und Printjournalisten nicht über denselben Beruf“, ergänzte Weinreich. Es ergebe keinen Sinn, sich über die Probleme von „Marktschreiern“ zu unterhalten. Der Journalist Herbert Fischer-Solms kritisierte, das Fernsehen beschränke sich zu oft auf Events und Fußball.

Dennoch will das Sportnetzwerk, das binnen weniger Wochen auf 300 Mitglieder gewachsen ist, TV-Journalisten nicht ausschließen. Bislang beschränken sich die Aktionen der Initiative auf die Plattform www.sportnetzwerk.org. Für die Zukunft sind jedoch größere Projekte geplant: So soll es Recherche-Workshops und im Herbst eine internationale Anti-Doping-Konferenz geben. Zudem werde eine Liste der vernachlässigten Sportthemen erstellt. „Wie viel Steuergeld wurde für diese WM wirklich ausgegeben?“, ist laut Weinreich ein solches Thema.

Am Ende bezog der VDS Stellung zu den Anwürfen. „Wir waren überrascht von der Initiative, wir hätten die Diskussion gerne aufgenommen“, sagte VDS-Vizepräsident Hans-Joachim Zwingmann und versprach, Netzwerk-Mitglieder beim VDS keineswegs zu diskriminieren. Dass auf dem Jackett des Journalisten ein Werbe-Sticker der „FIFA WM“ blitzte, war sicher Zufall. MICHAEL AUST