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Archiv-Artikel

Schachprofi am Pokertisch

Matthias Wahls, vor kurzem noch einer der 50 besten Schachspieler der Welt, hat sich dem Pokerspiel verschrieben. Das Leben eines Zockers ist wesentlich lukrativer als das eines Denksportprofis

VON HARTMUT METZ

Wesselin Topalow hat seine Honorarforderungen seit dem Gewinn der Schach-Weltmeisterschaft vor knapp einem Vierteljahr teilweise vervierfacht. So fordert Silvio Danailow, der Manager des Bulgaren, statt 20.000 nun 80.000 Euro für eine Turnierteilnahme. Dass der 30-Jährige das Geld wert ist, beweist der neue Champion beim Topturnier in Wijk aan Zee. Nach acht der 13 Runden liegt Topalow gleichauf mit dem Inder Viswanathan Anand (beide 5,5 Punkte) an der Spitze.

In Wijk aan Zee ist einer der wenigen Zahltage für die Asse hinter den beiden Führenden der Weltrangliste. Jeder kassiert ein paar Tausender. Von solch einer Summe kann ein durchschnittlicher Großmeister nur träumen. Mehrere hundert Schachprofis halten sich eher mühsam über Wasser. Auf den ersten Blick scheinen zwischen 1.000 und 2.000 Euro für einen Podestplatz bei einem Open zwar passabel. Doch solch einer gelingt angesichts der großen Konkurrenz eher selten.

Der Tretmühle auf den 64 Feldern entfliehen immer mehr Großmeister. Seinen Entschluss öffentlich machte jetzt Matthias Wahls. Die „Liebhaberei“, sich mit „30 Großmeistern bei einem Open um einen Preisfonds zu balgen, der eigentlich nur zehn von ihnen ein würdiges Einkommen ermöglicht“, gab der Hamburger mit Wohnsitz in London auf. Der ehemalige Top-50-Spieler, der heute 38 Jahre alt wird, rochierte zum Poker. Mit Partnern betreibt er unter www.pokerstrategy.de eine durch Werbung finanzierte Akademie. Seit Bekanntgabe seines Vorhabens schnellte die Mitgliederzahl binnen Monatsfrist von 1.700 auf mehr als 5.000 Mitglieder.

Nicht nur Wahls sieht riesiges Potenzial in Deutschland, sollte Internet-Poker aus der rechtlichen Grauzone heraustreten. Im Fernsehen gewinnt es bei Eurosport und DSF schon an Boden. In den USA und Kanada sorgen Millionen von Spielern für gewaltige Umsätze. „Begabte Spieler aus den Top 500 nehmen am Tag ungefähr 2.000 Dollar ein“, so Wahls. Kein Wunder, dass sich immer mehr Schachspieler dem Poker verschreiben.

Beim deutschen Meister Werder Bremen soll deswegen schon ein Brettkünstler aus dem Kader geflogen sein, ein anderer wurde wegen seiner Pokersucht abgemahnt. Ein weiterer gesteht hinter vorgehaltener Hand, dass er sich mit niedrigen Einsätzen – diese beginnen bei zwei Cent, Höchstsätze gehen laut Wahls bis zu 20.000 Dollar – jeden Monat einen Tausender mit den Karten dazuverdient.

„Vor einem Jahr lernte ich von einem Großmeister-Kollegen die Pokervariante Texas Hold’em. Anfangs war ich sehr skeptisch, da ich nichts für Glücksspiele übrig habe“, berichtet Wahls. Schnell habe sich ihm aber erschlossen, dass bei beiden Spielen die gleichen strategischen Fähigkeiten, Mathematik und Psychologie, erforderlich seien – „dabei ist Poker viel einfacher!“, ergänzt er. Der Grund für seinen Wechsel: „Lukrativität. Hier wird Leistung besser bezahlt als beim Schach.“ Und: „Beim Poker tummeln sich viele schlechte Spieler auf Niveaustufen, die keinesfalls ihrem Können entsprechen. Kurzfristig spielt das Kartenglück eine Rolle. Schwache Charaktere mit großem Ego werden durch Erfolgserlebnisse animiert, über ihre Verhältnisse zu spielen. Langfristig verliert dieser Personenschlag jedoch zwangsläufig.“ Der Fleißige werde schneller und leichter als beim Schach belohnt. Mittels intensiven Studiums könne man sich so rasch vom Heer der „Zocker und Hasardeure“ abheben, meint der Ex-Schachprofi.

Mit dem Internationalen Meister Ivo Donev stellte der Schachsport einmal einen Poker-Weltmeister. Sich selbst ordnet Wahls als „solider Spieler“ ein. „Meine Entwicklung wird sicher etwas abgebremst, da die Leitung meiner Pokerschule oberste Priorität genießt und ich kein Turnierspieler bin“, glaubt der Neu-Londoner. Den Traum von Millionen Dollar bei den für jedermann offenen Weltmeisterschaften überlässt Wahls seinen Schülern. Ein Pokerspieler mit treffendem Namen nährt dabei die Hoffnungen aller Amateure: 2003 gewann der Nobody Chris Moneymaker die WM.