: Wenn die Eichen weichen
Dem deutschen Wald geht’s schlecht, vor allen den nachwachsenden Symbolen: Jede zweite Eiche gilt als „schwer krank“– fehlt nur noch, dass sich der „Bundesadler“ mit der Vogelgrippe infiziert
VON ARNO FRANK
Okay, zuerst die schlechte Nachricht: Der Zustand des deutschen Waldes ist alles andere als berauschend. „Ernüchternd“ findet das mit Prinz zu Salm-Salm nicht irgendein berufsbetroffener Naturschutzhansel, sondern der Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände – nach Lektüre des aktuellen Waldschadensberichts. Schwer krank sind demnach, trotz leichter Erholung, noch immer 29 Prozent aller Bäume auf deutschen Boden.
Na und? Früher waren solche Diagnosen gefürchteter als apokalyptische Reiter. Heute werden sie, wie die Arbeitslosenzahlen, seufzend ins Setzkästlein unseres schlechten Gewissens eingeordnet – und gut is’. Deshalb jetzt die noch schlechtere Nachricht: Der Zustand der Eichen ist nicht nur schlecht, er hat sich sogar verschlechtert, und zwar „dramatisch“.
Während sich unspektakuläre Gewächse wie Buche oder Fichte allmählich erholen, bleibt jede zweite Eiche mindestens „schwer krank“, eine Besserung scheint nicht in Sicht. Nun ist die Eiche nicht einfach nur ein ordinärer Baum. Ihre Wurzeln hat sie tief ins Dunkel abendländischer Mythologien getrieben, in ihrer Krone lässt sie noch immer nationale Symbolik nisten.
Eine kranke Eiche, das ist wie ein Bundesadler mit Vogelgrippe. Vielleicht also ein Zeichen dafür, dass es mit dem hiesigen Eichen-Hype bald vorbei sein könnte. Denn der Kult ist ohnehin weit weniger alt, als es ihm mit national- und kulturromantischem Überschwang gerne unterstellt wurde. Zwar gab es in Mitteleuropa einmal Urwälder nur aus Eichen, allerdings nur zwischen 5000 und 2500 vor Christus. Dann kam, sah und siegte die Buche.
Bald waren die Eichen so selten geworden, dass einzelne, umso majestätischer erscheinende Exemplare den Germanen als heilige, ihrem blitzeschleudernden Gott Donar geweihte Stätten taugten – eine Ehre, die keinem Allerweltsbaum zuteil geworden wäre. Über den heidnischen Konkurrenzgott notierte der heilige Bonifatius noch: „Eine uralte Wintereiche auf der Bergeshöhe bei Geismar wurde sein Heiligtum und damit fortan der religiöse und rechtliche Mittelpunkt des hessischen Landes“, dann legte er höchstselbst die Axt an.
Eine Renaissance erlebte der entthronte Baum erst im Mittelalter, als er als Nutzpflanze für Bauholz und Erdmöbel neu entdeckt wurde. Gerbsäure aus der Rinde junger Eichen wurde für die Herstellung von Leder verwendet, und ihr Name leitete sich vom lateinischen esca (Speise) ab, weil ohne ihre Eicheln an eine landwirtschaftlich relevante Schweinemast nicht zu denken war. Wie wichtig sie war, spiegelt sich noch heute in über 100 Ortsnamen wider, die mit der Vorsilbe Eich-, Eick- oder Eig- beginnen.
Schirmherrin eines nationalen Bewusstseins wurde die Eiche erst nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon – übernommen aus Frankreich selbst, wo sie nach der Revolution als „Freiheitsbaum“ gepflanzt wurde. Ihre Karriere als Patriotin ist also erst 200 Jahre alt: „Fest wie unsere Eichen halten alle Zeit wir stand“, heißt es im „Niedersachsenlied“, Caspar David Friedrich verewigte sie in Öl, und das Eiserne Kreuz für besonders tapfere Soldaten gab’s mit „Eichenlaub und Schwertern“, quasi als volksdeutschen Lorbeer-Ersatz. Schaden konnte ihr auch das nicht: Auf der silbernen 50-Pfennig-Münze von Wirtschaftwunderdeutschland wuchs wieder – ein Eichen-Sprössling, richtig.
Selbst wenn sie nun bald verschwinden würde, die Eiche – als Nationalsymbol wird sie mit harziger Hartnäckigkeit an uns kleben bleiben. Im Libanon gibt es auch keine Zedern mehr.