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Archiv-Artikel

„Ich suche und die Kamera findet“

CAMERA OBSCURA Hanns Zischler ist mit einer Rigby Pinhole Camera in der Natur unterwegs. Eine Ausstellung in der Alfred Ehrhardt Stiftung zeigt nun seine eigensinnigen Werke

„Nach der Natur“

Eigentlich ist Hanns Zischler als Schauspieler und Publizist bekannt geworden. Im Jahr 1947 in Nürnberg geboren, arbeitet Zischler seit Ende der 60er Jahre in Berlin und wirkte in Filmen von Wim Wenders, Jean-Luc Godard und Steven Spielberg mit. 1996 veröffentlichte Zischler sein Buch „Kafka geht ins Kino“, 2006 gründete er den Alpheus-Verlag. Seit 1970 ist Zischler auch als Fotograf tätig. Mit der Lochbildkamera arbeitet er seit rund zwanzig Jahren. Die Ausstellung „Nach der Natur“ in der Alfred Erhardt Stiftung zeigt fünfundzwanzig großformatige Farbabzüge von Zischlers Naturaufnahmen.

■ „Nach der Natur“: Alfred Erhardt Stiftung, Auguststr. 75, Di.–So., 11–18 Uhr, Do., 11 – 21 Uhr, bis 30. Juni, Eintritt Frei

VON BRIGITTE WERNEBURG

Hanns Zischlers Bilder tragen alle einen Heiligenschein. Die Gloriole allerdings ist invers, dunkler werdende Farbwerte umrunden die helle Mitte. Dieser Iriseffekt macht kenntlich, dass der bislang als Schauspieler und Autor bekannte Berliner mit der Lochbildkamera unterwegs ist.

Seit Mitte der 90er Jahre fotografiert er mit einer Rigby Pinhole Camera. Der kleine Eichenholzkasten mit der präzise durchbohrten Messingscheibe – Blendenöffnung 1/164 – auf der Vorderseite, hat eine offene Rückwand für die Planfilmkassetten im klassischen Fotoformat 4 x 5 Inch. Hanns Zischler bestückt die Kamera mit ebenso klassischem Kodachrome – „solange ich die Planfilme noch bekommen kann“, wie er bekennt.

Fünfundzwanzig großformatige Farbabzüge der so entstandenen Bilder „Nach der Natur“ zeigt die Alfred Ehrhardt Stiftung in der Auguststraße. Gegründet, um das Werk des Kulturfilmers und Naturfotografen Alfred Ehrhardt (1901–1984) wissenschaftlich zu erschließen, präsentiert die Stiftung regelmäßig Ausstellungen zeitgenössischer Fotografie und Medienkunst, sofern sie in Zusammenhang mit der Thematik Natur und Konstruktionen des Natürlichen stehen.

Und darin besteht auch die ganz besondere Faszination der aktuellen Ausstellung: Zu sehen, wie eigensinnig Fototechnik – sei es die Lochbildkamera selbst, aber auch der Hochleistungsscanner, der die Ausdrucke liefert – Natur hervorbringt. Der Scanner etwa ließ Hanns Zischler seine Bilder noch einmal ganz neu entdecken: „Bis vor zwei Jahren kannte ich die Mehrzahl der Bilder nur im analogen Abzug. Der Scanner holt nun aus dem reichhaltigen Negativ ans Licht, was auf dem analogen Abzug nicht zu sehen war. Das geht bis in die einzelnen Farbschichten, bis ins Schwarz hinein.“

„Ich muss darüber nachdenken, wie der Wind weht, wie das Wasser sich bewegt“

Tatsächlich blitzt, funkelt und glüht es in Zischlers Aufnahmen. Es gibt Farben und Farbverläufe, wie man sie noch nie gesehen zu haben glaubt. Ist der Essigbaum wirklich so rot? In der Natur schon, möchte man sagen, aber im Bild? Ein zentrales Moment, wie die Camera Obscura die Welt als Bild festhält, ist die Zeit. „Ich habe“, sagt Hanns Zischler bei der Pressevorbesichtigung, „eine Leidenschaft für die Lochbildfotografie, weil sie mich zwingt, mir Zeit zu nehmen. Ich kann ja keine Bilder schießen mit dieser Kamera. Ich muss mir die Zeit nehmen, um ein Bild in einem mir passenden Ausschnitt auszuwählen, ich muss darüber nachdenken, wie der Wind weht, wie das Wasser, die Wolken oder der Rauch sich bewegen; wie das zusammenwirkt mit den statischen Elementen im Bild. Das heißt, ich muss mich vorbereiten. Es gibt so gut wie kein Bild, das spontan entstanden ist.“

Dabei sieht keines der Bilder ausgeklügelt aus. Im Gegenteil, selten wirken Natur- und Landschaftsaufnahmen so beschwingt und im scheinbar direkten Zugriff auf die alltägliche Umgebung entstanden. „Cornus im Winterfeuer“ (2004) etwa zeigt gewöhnliches Buschwerk, freilich in einem ganz ungewöhnlichen, herrlichen Rot. Oft ist es der Wind, der dem Bild eine ganz eigene Lebhaftigkeit gibt. „Windsbraut hocherregt I–IV“ (2009) zeigt Wildrosen, in die der Wind hineinfährt, wobei die heftige Bewegung der Blätter wie weiße Watte über den Busch gestreut scheint.

„Die meteorologischen und sonstigen physikalischen Ereignisse teilen sich auf diesen Bildern anders mit als sonst. Weil die Belichtungszeit doch viel länger ist. Unter drei Minuten geht eigentlich kaum etwas“, sagt Zischler. Und weiter: „Selbstportrait vor rauer See“ (2010), der Titel klingt wie F. K. Waechter, wenn Sie das Bild sehen. Aber das Meer war sehr bewegt. Ich habe vier Minuten belichtet, da gibt es keine raue See mehr.“

Ist der Essigbaum wirklich so rot? In der Natur schon, aber im Bild?

Und es gibt auch keinen bedeckten, grauen Himmel mehr in Hanns Zischlers Landschaften, weil die Kamera das einfallende Licht registriert und nicht den Himmel fotografiert. 15 Minuten belichtete er bei heftigem Schneetreiben eine Hecke im Wiener Belvedere. Aber „Der Ausgang des Labyrinths“ (2013) weiß weder etwas vom Schnee noch vom wolkenverhangenen Himmel. Es ist eine fantastisch andere Natur, die hier zu uns spricht. Stromschnellen verfestigen sich zur Skulptur wie „Der Flußgott“ (2012) zeigt, während die „Brombeerranke, überwinternd“ selbst aus der Distanz von nur zehn Zentimetern aufgenommen ohne Verzerrung erscheint.

Die Rigby Pinhole Camera nimmt in einem Winkel von mehr als 100 Grad auf. Das ist ein extremes Weitwinkel, trotzdem ist nichts verzerrt. „Das ist auch etwas Besonderes, dieses vollständig geometrisch hineingespiegelte Bild, in einem Ausschnitt, den ich nur ungefähr bestimmen kann. Das wunderbare Gerät hat ja keinen Sucher. Der Sucher bin ich. Ich suche und die Kamera findet. Und dann einigen wir uns, also die Kamera und ich, und sagen, das wird es wohl sein.“

Ja, das ist es, in der Tat!