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Archiv-Artikel

Jammern nützt ja auch nichts

ERINNERUNGSARBEIT Bei einem Brand in einem Lager wurden etliche tausend Bücher des Kreuzberger Verbrecher Verlags vernichtet. Genau aus diesen Büchern las man bei der Verbrecherversammlung im Monarch – eine Brand-Lesung mit Trotz und Galgenhumor

Biere werden gereicht, ein Tablett Mexikaner macht die Runde. Die Lesung ist gerade beendet, Autorin Sarah Schmidt signiert einige der letzten Exemplare ihres Buches, und die Gruppe Los Superdemokraticos, die eben noch in einer Doppellesung fulminante Wortsalven von der Bühne gefeuert hat, lässt eine Tüte kreisen. Die Besucher schauen aus dem Kneipenfenster aufs Kottbusser Tor.

Im Monarch findet an diesem Dienstagabend die „Verbrecherversammlung“ statt, und diesmal ist es kein freudiger Anlass, zu dem der Verbrecher Verlag lädt: Mehrere hunderttausend Bücher sind Anfang April bei einem Brand in einem Außenlager der Leipziger Kommissions- und Großbuchhandelsgesellschaft vernichtet worden, die Brandursache ist noch unklar. Darunter befanden sich eben auch 25.000 Exemplare des Kreuzberger Verlags. Ein ökonomischer Schaden entstand für den Verlag dank Versicherung kaum.

Im Monarch veranstaltet man einen Abend zu Ehren jener Bücher, deren Auflage zum Teil oder ganz vernichtet wurde. Und auch zu Ehren der Autoren, die es nicht nur ökonomisch härter trifft: „Der ideelle Wert der Bücher ist für die Autorinnen und Autoren oft noch größer als für den Verlag“, sagt Verlagsleiter Jörg Sundermeier bei der „Brand-Lesung“, deren Motto dennoch eher „Jammern nützt nichts!“ zu sein scheint.

Mit Trotz geht es zur Sache, und die Autoren begegnen der Situation mit erfreulich viel Humor. Sundermeier erzählt von der ersten Reaktion Sarah Schmidts, von deren jüngstem Werk, „Bitte nicht freundlich“, fast alle Exemplare verbrannt sind: „Na, dann isses ja jetzt ’ne Rarität.“

Zuerst liest der Verlagsleiter selbst aus einem biografischen Essay des 2010 gestorbenen Schriftstellers Peter O. Chotjewitz. Darin geht es um den Baader-Verteidiger Klaus Croissant. Eine irre gute, kurze Erzählung, die zunächst als Nachruf auf Croissant erschien und dann ein Kapitel des Chotjewitz-Romans „Mein Freund Klaus“ bildete. Die Story lässt nur den einen Schluss zu: Chotjewitz lesen! Da der Band im Herbst in einer Neuausgabe erscheint, wird das auch wieder jeder können.

Albert Hofmann! Homer!

Anders irre geht es weiter, mit den wunderbar drogen-, dada- und beatnikaffinen Los Superdemokraticos, deren Essays 2011 bei den Verbrechern erschienen sind. Die Superdemokraticos sind in erster Linie ein Netzprojekt, bei dem lateinamerikanische und deutsche Autoren über gesellschaftliche Themen bloggen – mit durchaus literarischem Zugang.

Im Monarch geben die Berlinerinnen Nikola Richter und Rery Maldonado, die den Blog betreiben, davon Kostproben. Gegen Ende huldigen sie einigen ihrer Ideengeber: „Albert Hofmann!“ – „Homer!“ – „Rudi Dutschke!“ – „Herr Lehmann!“ Auf der Superdemokraticos-Website heißt es: „Die fünfte Internationale wird von hyperlinken Trollen aufgebaut. Sie kann sich nur durch Gruppen-Trolling im Netz verbreiten.“ Marshall McLuhan und William S. Burroughs („Language is a virus from outer space“) mögen Referenzen für die Gruppe sein.

Sarah Schmidt beschließt den Abend mit Geschichten über die unglaublich hartnäckigen Körperoptimierer von der AOK: Sie berichtet, wie sie an einem Programm zum Abnehmen teilnimmt und Ermunterungsbriefe von ihrer Krankenkasse erhält („Sehr gut, Frau Schmidt!“). In einer weiteren Story geht es um die Irritation, die es auslöst, wenn in Berlin jemand plötzlich freundlich und zuvorkommend ist.

Was Schmidts Erzählungsband betrifft, so ist noch nicht klar, ob er wieder neu aufgelegt werden kann. Manchmal ist digital eben besser: Als E-Book wird es alle Texte jedenfalls weiterhin geben. JENS UTHOFF