piwik no script img

Archiv-Artikel

Mehr Gründe, weniger Ausweisungen

RECHT Gründe für Ausweisungen gibt es viele, doch vor Gericht zählen auch die Interessen von lange hier lebenden Ausländern

FREIBURG taz | Mehr als 279.000 Ausländer hat Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten ausgewiesen. Das teilte die Regierung im Sommer 2012 auf eine Anfrage der Linken mit. In rund 112.000 Fällen reisten die Ausländer freiwillig aus, etwa 143.000-mal mussten die Betroffenen abgeschoben werden. Rund 6.000 Ausgewiesene erhielten eine Duldung, weil die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich war. Die Ausweisung ist ein Rechtsakt. Sie beendet ein bestehendes Aufenthaltsrecht eines Ausländers in Deutschland.

Gründe hierfür gibt es viele, zum Beispiel Straftaten, extremistische Ansichten oder auch der ungerechtfertigte Bezug von Sozialleistungen. Dabei wird unterschieden zwischen zwingenden Ausweisungen, Regelausweisungen und Ermessensausweisungen. In der Praxis dürften Ermessensausweisungen überwiegen, weil viele Ausländer schon mehr als fünf Jahre rechtmäßig in Deutschland leben und ihr Aufenthaltsrecht deshalb nicht mehr automatisch endet, selbst wenn ein eigentlich zwingender Ausweisungsgrund vorliegt.

Auch wenn die Ausweisungsgründe im Aufenthaltsgesetz immer zahlreicher werden, nimmt die Zahl der Ausweisungen ab. 2002 erhielten noch rund 12.000 Ausländer eine Ausweisungsverfügung, 2011 waren es nur noch 4.477. Grund dafür ist wohl ein Mentalitätswandel bei den Gerichten, die das Interesse eines hier verwurzelten, vielleicht sogar hier geborenen Ausländers heute stärker gewichten. Abgeschoben werden Ausländer nicht nur nach Ausweisungen, sondern vor allem auch dann, wenn ein Ausländer kein Aufenthaltsrecht in Deutschland hat. So werden vor allem Ausländer abgeschoben, die illegal nach Deutschland eingereist sind oder deren Asylantrag abgelehnt wurde. 2012 wurden rund 7.600 Ausländer abgeschoben, davon 6.900 per Flugzeug.

Nicht so häufig sind Auslieferungen. Hiervon spricht man, wenn ein Staat einen in Deutschland lebenden Ausländer überstellt haben möchte, um ihn dort vor Gericht zu stellen oder (wenn die Verurteilung bereits erfolgt ist) ins Gefängnis zu stecken.

Im Fall des religiösen Extremisten Metin Kaplan, dem Kalifen von Köln, kamen alles genannten Punkte zusammen. Kaplan musste Deutschland 2004 verlassen. Die Türkei hatte seine Auslieferung beantragt. Letztlich wurde er aber ausgewiesen, nachdem er eine vierjährige Haftstrafe verbüßt hatte.

CHRISTIAN RATH