: Auf gute Nachbarschaft!
STADTTEILPERFORMANCE Zum zweiten Mal ruft das Projekt „Altona macht auf!“ an zwei Abenden dazu auf, sich mit gutem Gewissen weit aus dem Fenster zu lehnen und das eigene Balkontheater zu bespielen
VON ROBERT MATTHIES
Wer verspürt ihn nicht, den allzu oft uneingestandenen und allzu schnell klammheimlich wieder verdrängten Wunsch, einmal all die Sehnsüchte, Hoffnungen und Befürchtungen ganz ungeniert aus dem offenen Fenster in die Welt hinauszuproklamieren? All die Tanzschritte vorzuführen, von denen bislang keiner wusste, wie oft man sie schon im Schutz der eigenen vier Wände geübt hat? Endlich mal den Gitarrenverstärker auf den Balkon zu stellen, bis zum Anschlag aufzudrehen und für die Nachbarn hemmungslos in die Saiten zu hauen? Oder dort mit stolz geschwellter Lunge statt mit schamvoll eingezogenen Schultern zu rauchen und die eigene Lust am schädlichen Erhabenen öffentlich feiern zu lassen?
Mit gutem Gewissen ganz weit aus dem eigenen Fenster lehnen konnten sich alle verkappten und verkannten Altonaer KünstlerInnen im letzten Jahr im Rahmen der Theater Altonale. Zur Aufführung im eigenen „Sehnsuchtsfenster“ und „Balkontheater“ hatte das Projekt „Altona macht auf!“ aufgerufen. Um all dem Ausdruck zu verleihen und ein Gesicht zu geben, was im Alltag sonst hinter der Fassade versteckt bleibt.
Dass sie den richtigen Nerv treffen würden, dessen waren sich die InitiatorInnen schon im Vorfeld sicher. Überrascht waren sie dennoch vom großen Erfolg des Debüts der nachbarschaftlichen Stadtteilperformance. Rund 1.000 Menschen erlebten, was 300 AltonaerInnen an mehr als 70 Spielorten präsentierten: ein selbst verfasster Schwank auf drei Balkonen hier, ein umgedichteter Song vom Motte-Chor dort, Puppentheater oder Vorschüler-Rap. In der Stuhlmannstraße machte gleich eine ganze Straße „auf“, rollte Rasen auf den Asphalt, stellte Bäume auf und verwandelte die Sackgasse in einen von Lichtinstallationen und Musik umsäumten Park.
Dieses Jahr wird die kollektive Nachbarschafts-Kunst-Aktion wiederholt. Mitmachen können auch jetzt noch alle, die ihrer Kreativität freien Lauf lassen wollen. Zentrale Anlaufstelle ist die neue Büroraumbörse in der Großen Bergstraße 250. Dort gibt es jeweils von Montag bis Mittwoch Kaffee, Kuchen, offene Ohren für Ideen und einen Balkon, um sich schon einmal auszuprobieren. Es gibt auch die Möglichkeit, technisches Equipment für die eigene Performance auszuleihen, sowie einen kostenlosen Übungskeller.
Wer Zweifel hat, dass die Zurschaustellung des unbekannten Talents tatsächlich zum Erfolg wird, holt sich wieder kostenlose Unterstützung bei einer der Altonaer KünstlerInnen, die für den Schritt aus der Anonymität als Coaches mit Rat und Tat zur Seite stehen: Wer tanzen will, geht zur Choreografin Yolanda Gutiérrez, wer eine Performance im Sinn hat, lässt sich von Schriftsteller und Theatermacher David Chotjewitz beraten, MusikerInnen finden bei Knarf Rellöm Hilfe und junge Literaten lassen sich von Poetry-Slammer Moritz Neumeier unter die Arme greifen.
Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Wer noch eine Idee zum Mitmachen oder einen ruhigen Balkon sucht, findet mögliche Mitstreiter und Ideen auf der Internetseite www.altona-macht-auf.de in der „Börse der Sehnsüchte“. Und auch wer lieber erst mal zusieht, wird hier nicht eingeschränkt: Der Eintritt ist natürlich ebenfalls frei.
■ Fr, 7. 6. und Fr, 14. 6., ab 17 Uhr, Ottensen und Altona-Altstadt