: Immer einen Termin im Kalender
KONTAKTPFLEGE Lehrer waren sie, und auch in Berlin wollen Kristin und Götz Plessing bei der Pädagogik bleiben
Man kann sagen, dass die Plessings gar nicht anders konnten, als nach Berlin zu ziehen. Nach vierzig Jahren Lehrerdasein an einem Internat im Süddeutschen hatten sie viele Kontakte geknüpft. Kontakte zu jungen Leuten vor allem und nicht „nur zur Alterskohorte“, wie Kristin Plessing es sagt. Und die meisten dieser Kontakte waren längst nach Berlin gezogen. „Schon damals gab es keine andere Stadt, in der wir so viele Menschen kannten“, sagt Götz Plessing.
Im Grunde musste sich das Ehepaar deswegen kaum neu verwurzeln, als es 2002 die Wohnung in Friedenau bezog. Sofort lief der Terminkalender schneller voll denn je. Nicht einmal in Erwägung zogen die Plessings, ihren neuen Standort wieder aufzugeben, als die Tochter beschloss, mit Mann und den Enkeln von Berlin nach Südafrika zu gehen. Denn in der Provinz hatten sie nur die Dienstwohnung im Internat, und ihr Elternhaus in Baden-Baden, lange als Alterssitz angedacht, kam ihnen plötzlich zu dröge vor. In Berlin aber konnten sie ihren Hunger nach Menschen weiter stillen – und weiter ihrer Berufung nachgehen, der „Leidenschaft für die pädagogische Arbeit“, wie sie sagen.
Schon kurz nach der Ankunft ging es los mit den Ehrenämtern: Kristin Plessing, heute 72 Jahre alt, engagierte sich bis zum Bandscheibenvorfall vor Kurzem in einem Verein für Senioren, die Schulmediatoren werden wollen: Mehrmals die Woche fuhr sie bis zu Adolf-Glaßbrenner-Grundschule in Kreuzberg und arbeitete mit Kindern mit Migrationshintergrund. Götz Plessing, heute 74, folgte ihr bald und berät bis heute die Direktion. Außerdem engagiert er sich beim Wettbewerb „Jugend debattiert“, beim Schulpreis der Bosch-Stiftung, hat noch einmal ein Jahr lang an der FU studiert, lernt biografisches Schreiben. Und sie kümmert sich noch um den Garten der Kirche in der Nachbarschaft und lernt zeichnen.
Das ist aber noch nicht alles, was die Plessings herausgeholt haben aus ihrem neuen Berliner Leben. Wichtiger Bestandteil sind dazu die vielen Theater- und Konzertbesuche – vor allem aber ist es ihre großzügige Altbauwohnung, für deren Miete die beiden gern viel ausgeben. Da ist das Fischgrätparkett, die Kastendecke, der Wintergarten, die Bibliothek und der Stapel mit Büchern und Zeitungsausrissen, der die Beschäftigung mit Richard Wagner aus aktuellem Anlass verrät.
Offen für gesellige Abende
Und da ist auch der große Esszimmertisch, an dem häufig zu geselligen Abenden geladen wird. „Berlin ist so weit, hier kann man atmen“, formuliert es Kristin Plessing. „Der Querschnitt durch die Gesellschaft tut gut“, ergänzt ihr Mann. So schwärmen sie etwa von den Hauskonzerten in der Wohnung einer Bekannten, die aus Brüssel kam und sie nun mit immer mehr jungen Musikern bekannt macht.
Und was, wenn sie doch mal fehlt, die Natur, die Ruhe, das Vogelzwitschern? Kristin und Götz Plessing zucken mit den Schultern. Im Frühjahr flüchten sie regelmäßig ein paar Wochen vom Berliner Winter und fliegen zur Tochter nach Südafrika. Im Herbst hüten sie das Weingut von Freunden im Breisgau. Und sollten zwischendurch mal alle Stricke reißen: Die Plessings kennen garantiert überall auf der Welt ein paar ehemalige Schüler, bei denen sie willkommen sind. Aber es sieht nicht so aus, als würden sie Berlin noch einmal den Rücken kehren. SUSANNE MESSMER