: Die anderen Dschihadisten
MODERNE Katajun Amirpur porträtiert in ihrem neuen Buch Erneuerer des Islam, die sich für Demokratie und die Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzen
VON ALEXANDRA SENFFT
Wenn es um den Islam geht, neigen Menschen im Westen dazu, diese Religion negativ zu bewerten und ihre positiven Aspekte zu ignorieren. So wird der Begriff „Dschihad“ meist als Krieg verstanden, dabei bedeutet er ganz allgemein, „sich auf dem Wege Gottes mühen“. Die Tunesier etwa bezeichnen auch den Kampf gegen den Analphabetismus als „Dschihad“. Es ist nichts Neues, wenn Katajun Amirpur diese einseitige Auffassung korrigiert. Neu ist indessen, dass die deutschiranische Islamwissenschaftlerin und Journalistin ihr jetzt erschienenes Buch einer Reihe von ganz besonderen „Dschihadisten“ widmet: den islamischen Reformdenkern.
In einem einführenden historischen Abriss zeigt sie, dass die Tradition des Reformislam ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Auch damals schon wollten Denker wie Muhammed Abduh oder Jamal ad-Din al-Afghani ihre Religion der Moderne anpassen. Mit den Kriegen und Veränderungen des 20. Jahrhunderts kam der Islamismus als Ideologie des dritten Weges auf und mündete in die Iranische Revolution – mit allen bekannten Folgen des heutigen Islamismus. Das brachte jedoch auch eine Gegenbewegung neuer muslimischer Reformer auf den Plan, die sich gegen den „Textfundamentalismus“ wehren und für soziale Gerechtigkeit kämpfen.
Amirpur gibt einen Überblick über einige der zahlreichen Reformer dieser Zeit. Diese bewege allem voran „der Glaube in der modernen Welt. Es wird gestritten um eine zeitgemäße Interpretation der Quellen und um einen selbstkritischen Zugang zur Tradition.“ Sie stellt sechs Reformerinnen und Reformer im Detail vor und bringt deren bewegte Biografien in einen Zusammenhang mit ihrem Denken. Gleichgültig ob diese Persönlichkeiten aus Ägypten, Pakistan, dem Iran oder den USA stammen, sie alle verbindet ein tiefes religiöses Empfinden und der Drang nach Freiheit. Wahre Religiosität kann ihrer Meinung nach nur stattfinden, wenn Menschen ihren Glauben freiwillig ausüben und eigenverantwortlich handeln können. Selbstkritisch betont der Iraner Mohammed M. Shabestari: „Die Frage ist nicht, ob der Islam mit der Demokratie vereinbar ist, sondern ob die Muslime heute diese Vereinbarkeit entstehen lassen wollen.“
Jede gesellschaftliche Reform müsse beim Koran beginnen, weil er das Zentrum islamischer Kultur darstelle – darin sind die Reformer sich einig. Entscheidend ist dabei die schon ins erste Jahrhundert zurückreichende und seither heftig umstrittene Frage, ob der Koran erschaffen oder nicht erschaffen (also Gottes Wort) sei. „Denn ein erschaffener Koran lässt viel mehr Raum für Interpretationen, zum Beispiel im Hinblick auf Frauenrechte“, so Amirpur.
In diesem Zusammenhang sind ihre Porträts zweier islamischer Reformerinnen besonders interessant: Die „pro-faith activistin“ Amina Wadud, eine schwarze Konvertitin aus den USA, hat bahnbrechende Standardwerke des islamischen Feminismus verfasst, und Asma Barlas, eine gebürtige Pakistanerin die heute in New York lehrt, sagt, als Gläubige habe sie dasselbe Recht wie Männer, über ihren Glauben zu sprechen. Vom Mainstream erbittert bekämpft, werden sie von ihren männlichen Reformkollegen jedoch unterstützt: Der Ägypter Nasr Hamid Abu Zaid bezeichnete die Frauenfrage als „Lackmustest für den Islam in der modernen Welt“.
Amirpur, die an der Hamburger Universität lehrt, analysiert die Denkansätze ihrer Protagonisten und bietet bedeutsame Einblicke in die Vielfältigkeit der islamischen Welt heute. Obwohl viele Reformdenker im Exil oder zu Hause als marginalisierte Freigeister leben, sind sie wichtige Ideengeber für die Demokratiebewegung, sagt die engagierte Islamwissenschaftlerin.
Sie plädiert zu Recht dafür, den Reformern mehr Bedeutung beizumessen, denn: „Im Gegensatz zu radikalen Islamisten, die sich seit einigen Jahren in unser Bewusstsein bomben, erfahren jene Denker und Intellektuellen nur wenig Aufmerksamkeit“.
■ Katajun Amirpur: „Den Islam neu denken. Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte“. C. H. Beck Verlag, München 2013, 256 Seiten, 14,95 Euro