: Zoff um Zwangsumzüge
Kritik von Diakonie und Mietervereinen an Auszugsaufforderungen für Arbeitslose. 3.000 Haushalte sollen umziehen – nur wohin?
Von Marco Carini
Im Gespräch kann Sabine Horn (Name geändert) ihre Tränen nicht unterdrücken. „Meine Wohnung ist das einzige, was mir geblieben ist“, sagt die 54-Jährige. Seit zweieinhalb Jahren ist die ehemalige Sekretärin, die mehr als 30 Jahre lang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, erwerbslos. Nun soll sie, geht es nach der für die Durchsetzung der Hartz-IV-Gesetze zuständigen „Arbeitsgemeinschaft (Arge) Hamburg“, auch noch ihre Ottensener Wohnung loswerden, die sie seit 29 Jahren bewohnt. Die Arge schickte ihr Ende September die ultimative Aufforderung, ihre Mietkosten drastisch zu senken – oder bis zum 31. 12. 2005 auszuziehen.
Hätte Sabine Horn die Aufforderung befolgt, sie hätte noch am selben Tag ihre Wohnung kündigen müssen, um die gesetzte Frist einzuhalten. Doch Sabine Horn will ihre Wohnung nicht aufgeben. Weil diese knapp 400 statt der gesetzlich erlaubten 318 Euro Bruttokaltmiete (inkl. Betriebskosten und Wasser) kostet, droht die Arge die Wohngeldzahlungen ganz einzustellen. Denn wer eine um 20 Prozent zu teure Wohnung bewohnt, dem wird das Wohngeld nicht auf den Regelsatz zusammengekürzt, sondern ganz gestrichen.
Sabine Horn ist kein Einzelfall. Bei den Hamburger Mietervereinen stapeln sich inzwischen die Fälle, in der die Arge bei ihren Umzugsaufforderungen nicht nur über menschliche und soziale Härten hinweggeht, sondern mitunter auch über Recht und Gesetz. So wurde beispielsweise in Bergedorf eine Arbeitslose, die mit ihrem Sohn in einer 67 Quadratmeter großen Wohnung lebt, von der Arge aufgefordert, ihre Mietkosten durch Umzug zu senken, weil nur eine Wohnungsgröße von 55 qm angemessen sei.
Dabei spielte es keine Rolle, dass die Wohnung trotz ihrer Größe mit einer Bruttokalt-Niedrigmiete von 335 Euro weit unter dem Höchstsatz von 409 Euro lag. Im Klartext: Die Arge hätte den Umzug in eine um 74 Euro teurere, aber kleinere Wohnung bezahlt und wäre für die höheren Mietkosten aufgekommen.
„Dieser Fall zeigt, dass die Wohnflächengrenze zu unsinnigen Ergebnissen führt“, betont Eckard Pahlke, Chef des Mietervereins zu Hamburg. Deshalb müsse sie „ersatzlos gestrichen“ werden. Inzwischen pfiff die Sozialbehörde die Arge zurück. Ihr Vorgehen hätte in diesem Fall „nicht dem durch das Gesetz eingeräumten Handlungsspielraum“ entsprochen.
Der Jurist Marc Meyer von Mieter helfen Mietern wiederum weiß von „mehreren Fällen“ zu berichten, in denen „MieterInnen, die vor einigen Jahren vom Sozialamt zum Umzug in eine kostengünstige Sozialwohnung gedrängt wurden, aus dieser wieder ausziehen sollen, weil sie heute als zu teuer gilt. Meyer: „So was ist nur noch absurd.“
Absurd auch: Niemand weiß, ob es die Wohnungen, in die rund 3.000 ALG II-EmpfängerInnen – oft samt Familie – umziehen sollen, überhaupt gibt. Denn selbst der überwiegende Teil der leer stehenden Wohnungen von SAGA/GWG, Hamburgs größtem Anbieter von Sozialbehausungen, erfüllt nicht die Hamburger Hartz-IV-Kriterien. Von rund 1.500 derzeit freien Wohnungen des städtischen Unternehmens überschreiten nach dessen Angaben nur knapp 700 die zulässigen Mietobergrenzen nicht.
Auch Peter Hitpaß, Chef des Verbandes norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), muss passen: „Wir können nicht sagen, dass ausreichend Wohnungen auf dem Markt sind, die den Kriterien entsprechen.“
Doch damit nicht genug: Irene Bauerschmidt, Hartz-IV-Beraterin beim Diakonischen Werk, richtet weitere Vorwürfe an die Arge: Die Umzugsaufforderungen ergingen oft „ohne vorheriges Gespräch“, und von der Arge vorgestreckte Miet-Kautionen würden nicht bis zum Auszug gestundet, sondern müssten widerrechtlich vom knappen Arbeitslosengeld zurückgezahlt werden. Zudem übernehme die Arge keine Doppelmieten bei Zwangsumzug, sondern akzeptiere nur passgenaue Wohnungswechsel. Das sei, so Bauerschmidt, „fern ab von jeder Realität“.
Internet-Infos für Betroffene finden sich unter www.HartzIV-beratung-hh.de und www.peng-ev.de.