: Der Trend geht zum Ideenklau
Auf der Modemesse Bread & Butter präsentieren 500 Labels ihre Kollektionen. Das ist nicht ohne Risiko: Viele Designer fürchten, dass Ideenräuber ihre Ware kopieren und den Gewinn einstreichen
VON NINA APIN
Was Maria Thomas und ihre Kollegen vom Berliner Modelabel „butterflysoulfire“ erlebten, ist der Albtraum jedes Designers. Marias Bruder brachte von einer Reise nach London Fotos mit. Darauf war, unverkennbar, eine Herbstjacke der aktuellen „butterflysoulfire“-Kollektion zu erkennen. „Es war unser Entwurf, vom Schnitt bis zu den Knöpfen“, erinnert sich Maria. „Ein echter Hammer.“
Der Hammer daran war, dass die Jacke als Teil einer Musterkollektion unter einem bekannten Markennamen präsentiert wurde. Ein klarer Fall von Ideenklau. „Jemand hat die Jacke abfotografiert oder gekauft und 1:1 nachgenäht“, erklärt sich Maria das Auftauchen der Jacke in fremdem Umfeld. „Ganz schön unfair.“ Und dazu schmerzhaft für ein junges Label, das sich, wie „butterflysoulfire“, finanziell nur knapp über Wasser halten kann. Von den bunten, von Hand bedruckten Einzelstücken, die im Laden zwischen 99 und 300 Euro kosten, leben vier Designer, zwei Azubis und zwei Praktikanten. Um Kosten zu sparen, wohnen und arbeiten die jungen Modemacher zusammen in einem selbst ausgebauten Haus. Da tut es weh, wenn eine große Firma mit den eigenen Ideen Kasse macht, ohne etwas abzugeben.
Vor Ideenklau haben alle Modedesigner Angst. Schließlich sind originelle Einfälle so etwas wie die Währung der Branche. Niemand weiß das besser als die Veranstalter der Modemesse Bread & Butter Berlin, auf der zweimal im Jahr etwa 500 Aussteller ihre Kollektionen zeigen. „Wir gewähren unseren Teilnehmern ein Höchstmaß an Sicherheit“, sagt Bread-&-Butter-Pressesprecherin Danielle de Bie. Durch ein rigoroses Akkreditierungssystem soll verhindert werden, dass Trendjäger von großen Bekleidungsketten Ideen abgreifen. „Jeder Besucher muss eine Geschäftsbeziehung zu einem unserer Aussteller nachweisen können“, erklärt de Bie. „Auch für die Presse gelten strengste Vorkehrungen.“
Im Bread-&-Butter-Büro in der Münzstraße tobt schon Tage vor der Messeeröffnung die Akkreditierungsschlacht. 25 Mitarbeiter sind damit beschäftigt, Ausweisdokumente und Tätigkeitsnachweise auf Echtheit zu überprüfen und Fotografen zu erklären, warum sie sich für jede Veranstaltung einzeln akkreditieren müssen. Die Eintrittskarten, auf denen sämtliche Daten gespeichert sind, werden am Einlass gescannt. Wer allerdings die neue Jeanskollektion von G-Star bewundern will, braucht zusätzlich eine Einladung des Herstellers extra für den Stand. Hinter diesem Gebaren steckt nicht nur die imagefördernde Geheimnistuerei eines Trendsetters, sondern auch handfeste Angst vor wirtschaftlichen Schaden.
Die Gefahr, dass die brandneue Jeanskollektion in wenigen Wochen als Kopie bei Großketten wie Zara, H&M oder Mango in den Läden hängt, ist real. Diese Trendfabriken, die ihre Kundschaft alle vier Wochen mit neuer Ware erfreuen, sind permanent auf der Suche nach Ideennachschub und zudem sagenhaft schnell in der Produktion: Vom Computerdesign bis zur Auslieferung in die Filialen brauchen Riesen wie die spanische Billigkette Zara gerade mal zwei Wochen. Während die Erfinder noch an ihren Qualitätsprodukten nähen lassen, werden mit Billigkopien bereits Millionenumsätze erzielt.
Nicht nur vor den einzelhandelschädigenden Praktiken dieser so genannten vertikalen Anbieter hat man auf der Modemesse Angst. Weltweit bekannte Marken wie Nike wollen verhindern, dass Turnschuhmodelle massenhaft als Billigkopien made in Asia auftauchen. Je origineller und geschäftsträchtiger ein Trend ist, desto größer ist die Gefahr, dass jemand anders damit Geld verdient.
Rechtlich lässt sich wenig dagegen tun. Zwar können Modeschöpfer beim Patentamt einen bestimmten Schnitt oder eine bestimmte Art der Verarbeitung als Geschmacksmuster eintragen lassen. Doch die Registrierung, die pro Einzelteil 82 Euro kostet, bietet nur sehr begrenzten Schutz. „Ein paar geschickte Abänderungen machen aus einer Kopie einen neuen Entwurf“, sagt Mara Michel vom Verband der deutschen Mode- und Textildesigner (VDMD). „Die Grenzen sind fließend und Ideenklau oft sehr schwer nachzuweisen.“ Auf Fachmessen wie der Bread & Butter versucht man, die gefürchteten Kopisten durch eine Schwarze Liste fernzuhalten. „Bestimmte große Ketten sind nicht erwünscht“, erklärt Bread & Butter-Pressefrau de Bie. Wer auf der Liste steht, will sie nicht verraten. Auch wer unerlaubt Fotos macht oder sich auffällig verhalte, werde nicht mehr eingeladen.
Manchen Ausstellern geht selbst diese Absicherung nicht weit genug. Bettina Saul vom Berliner Label „Die Profis“ berichtet von Marken, die ihre Stände wie Trutzburgen mit mannshohen Wänden oder schwarzem Mollton abschirmen. Sie und ihre Kollegin Nina Hein finden solche Versteckspiele albern. „Die Profis“ gehen auf die Messe, um sich zu zeigen. Mit ihren gestrickten Schals in Fußballoptik haben sie einen potenziellen WM-Kassenschlager im Programm. Auf dem einen steht „Ich will Liebe“, auf dem anderen „Ich will Sex“. Ein leicht nachzuahmendes Konzept, oder? Doch die „Profis“ sehen es sportlich. „Entweder verdienen wir Geld damit oder jemand anders. Risiko gehört zur Branche.“ Bettina Saul und Nina Hein, die 2001 ihr Diplom an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin gemacht haben, wissen, dass Gut und Böse nicht immer einfach zu trennen sind im Geschäft. „Ich habe Freunde, die nach dem Diplom zu H&M gegangen sind“, sagt Bettina. „Doch die lade ich weiterhin zu unseren Präsentationen ein.“ Die avantgardistisch-verspielten Einzelstücke der „Profis“ sind für den Massenmarkt ohnehin nicht interessant. Sollte ein ähnliches Stück bei H&M auftauchen, würden das die „Profis“ als Kompliment sehen. „Das würde uns zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“
Souveränität und Selbstbewusstsein sind der beste Schutz gegen Ideenklau, glaubt auch VDMD-Präsidentin Mara Michel. „Gegenseitiges Abkupfern gehört zur Mode“, sagt sie. „Manche Themen liegen zu einer bestimmten Zeit einfach in der Luft. Ein guter Designer muss akzeptieren können, dass seine Ideen von anderen aufgegriffen und weiterverarbeitet werden.“ Nur wenn allzu dreist abgekupfert wird und dadurch wirtschaftlicher Schaden entsteht, sollte man sich wehren, empfiehlt Michel. Für seine 350 Mitglieder bietet der Verband eine kostenlose Rechtsberatung an. Die wird fleißig genutzt: Viele Designer sind unsicher über ihre Rechtslage.
„Den wenigsten Modeschöpfern ist bekannt, dass sich die Rechtslage zu ihren Gunsten geändert hat“, beobachtet Verbandsanwalt Alexander Bretz, der sich auf Lizenzrecht für Kreative spezialisiert hat. Seit zwei Jahren gilt mit dem „nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster“ EU-weit ein automatischer Urheberschutz. Jedes Originalstück, das das Licht der Öffentlichkeit erblickt, ist – ganz ohne Eintrag beim Patentamt – für drei Jahre vor Nachahmung geschützt. Doch eine eindeutige Grenzziehung zwischen Plagiat und Neuentwurf bleibt schwierig, weiß Alexander Bretz. „Grundlage für Gerichtsentscheidungen ist der fotografische Neuheitsbegriff. Das heißt, wenn ein unbefangener Betrachter Original und Kopie verwechselt, liegt ein Plagiat vor.“
Von einem Gang zum Gericht hält Anwalt Bretz seine Mandanten meist ab. In der kurzlebigen Modewelt bringen teure und langwierige Verfahren mehr Ärger als Nutzen. Stattdessen rät Bretz zu außergerichtlichen Vergleichen. Fruchtet auch das nicht, hilft nur noch direkte Konfrontation. Direkt auf den Plagiatsvorwurf angesprochen, seien viele Firmen bereit, den Urheber am Geschäft zu beteiligen. Besonders bei großen Firmen bewirke die Angst vor öffentlicher Bloßstellung wahre Wunder.
Um mehr Designer dazu zu ermuntern, ihre Rechte wahrzunehmen, hat Bretz die „Design Law Force“ gegründet, eine Art Rechtsschutzversicherung für Kreative. Für 300 Euro Jahrespauschale bietet er rechtliche Hilfe im Umgang mit Einkäufern, Vertriebspartnern und Plagiatoren. Damit hätten auch geprellte Kleinlabels wie „butterflysoulfire“ die Chance, an der Jacke im Londoner Schaufenster etwas mitzuverdienen. Das ist schließlich ihr gutes Recht.