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Archiv-Artikel

Krieg den Verhältnissen

GANGSTER Barbara Webers „Bonnie und Clyde“ an den Münchner Kammerspielen setzt auf Slapstick und Sozialromantik

Der Wunsch nach der totalen, bohemienhaften Freiheit geht schließlich in schwülem Moralisieren auf

VON HANNA SCHMELLER

Zuletzt geht alles ganz schnell. Mit dem Rücken zum Publikum trinken Bonnie und Clyde Campari aus Wassergläsern, die Ellenbogen auf jener Bar, die zuvor als Wohnzimmerfenster und als Bad Bank herhalten musste. Ein Cop feuert Kugeln ab, und ohne viel Getöse lassen sich beide zu Boden gleiten. Nicht eng umschlungen auf den Vordersitzen ihres Mustang-Cabrios, Baujahr 1964, sondern aufrecht nebeneinander stehend kommt das Ende.

Es liegt nahe, das Leben des berühmten Gangsterpaares als ein mörderisches Roadmovie zu inszenieren, und ebenso nahe, dies gerade jetzt zu tun. Bonnie Parker und Clyde Barrow lernten sich im Texas der Dreißigerjahre kennen, und je nach Art der Darstellung waren die Verbrechen des jungen Paares – bei ihrem Tod sind beide erst Mitte zwanzig – ihrer Langeweile, ihrer Perspektivlosigkeit, ihrem Mut zur romantischen Weltverklärung geschuldet, für die stets derselbe Grund angeführt wird: die Wirtschaftskrise, die Banken, die „an allem schuld sind“ und die Menschen „schlechter als Vieh“ behandeln, wie Bonnie auch in der Interpretation der Regisseurin Barbara Weber stöhnt.

Einige Zuschauer mögen vielleicht die allmorgendlichen Schlagzeilen über Pleitebanken, Jobabbau und einbrechende Märkte in dieses Stück gelockt haben; mancher kann den Wunsch des Gangsterpaares, es „denen da oben“ zu zeigen, an jenem trüben Winterabend der Münchner Premiere nachvollziehen. Und kein Zweifel: Bei Weber befindet er sich in einer Wild-West-Schmozette. Bonnie (Sylvana Krappatsch) gibt sich très chic: „Wir sind jung, wir sind schön, wir haben Benzin im Blut und wir reisen bis ans Ende der Nacht.“ Clyde (Oliver Mallison) trägt Borsalino zu Cowboystiefeln. Auf der Bühne wird mehr geraucht als in jedem Saloon. Und Clydes Bruder Buck (Michael Neuenschwander) und seine Gattin Blanche (Annette Paulmann) lassen das schöne Paar nur umso mehr strahlen, als sie sich selbst mit den Rollen der Witzfiguren begnügen; immer wieder lösen sie die tragische Blut-und-Sperma-Erotik auf, in die Banken und Gesellschaft die übersensiblen Protagonisten treiben.

Und als wäre der nachdrückliche Fingerzeig zur Gegenwart noch nicht genug, zieht Weber den Zuschauer mit sich, indem sie eine zweite Ebene, eine intime Scheinrealität, ins Spiel einbrechen lässt: Schauspieler machen den Zuschauer zum Komplizen, wenn sie sich über ihre Rollen beschweren, die Ballade von „Bonnie und Clyde“ wird unmotiviert zum Besten gegeben, um noch die letzten Klischees zu bedienen, und wenn es auf der Bühne gerade nichts zu gurren und zu flirten gibt, dann wird das eben unter Kollegen am Bühnenrand erledigt.

In dem bunten Tohowabohu geht fast unter, wie feinsinnig Barbara Webers Inszenierung das spezielle Wertesystem herausstellt, das Bonnie und Clyde sich Bild für Bild aus den Trümmern ihrer Existenz zusammenzimmern: Den Wunsch nach der totalen, bohemienhaften Freiheit lässt Weber schließlich in einem schwülen Moralisieren aufgehen. Ähnlich wie ein Mafia-Clans definiert sich die Bande immer strikter über verhandelbare und damit doch nur willkürliche Abmachungen. Gilt es ein Verbrechen zu planen, entwickelt sich ein jäher Familiensinn. Geht es an die Beuteverteilung, prallen Einzelkämpfer aufeinander, die streng zwischen Gründungsmitgliedern und Randfiguren unterscheiden. Der selbstgeschaffene Moralkanon, anfangs eine Art romantisches Regelwerk, ist zunehmend nicht mehr als ein vorübergehendes Vehikel der Kleinstgruppenintegration.

Irgendwo dazwischen schwört sich das Paar phrasenreich auf seinen Weg ein: „Sobald bessere Zeiten kommen, lassen wir die Finger davon“, meint Clyde, oder Bonnie: „Wir führen Krieg gegen die Verhältnisse, Baby“, also gegen jene „Banken, die in der Depressionszeit das Land ausrauben“.

Doch diese Gleichung, und das macht die Inszenierung letztlich spannend, lässt Weber nicht aufgehen. Die Liebesbeziehung wird immer leerer, je mehr das Morden zu- und der Spaßfaktor abnimmt. Bei Weber sind Bonnie und Clyde kein dem Blutrausch verfallenes Paar, das sein Leben und Sterben nur dem Gesetz der Straße und der Leidenschaft unterwirft. Beide korrumpieren zusehends, verelenden Seite an Seite. Der Tod durch die Hand des Gesetzes, also immer wieder: durch die Gesellschaft, ist hier kein konsequent glamouröser Abgang, sondern wirkt nur mehr wie ein doppelter, ein doppelt vereinsamter Selbstmord.

In den letzten Bildern gelingt es Regisseurin und Ensemble, jenen entscheidenden Punkt zu machen, der mit dem vorangegangenen Dauerrausch versöhnt: Weltwirtschaftskrise, die ewig bösen, habgierigen Banken und die blutende, lebenssüchtige und zuletzt so unvorstellbar entzauberte Jugend gehen in einem nachdenklichen Gesamtbild auf.