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Archiv-Artikel

Brutale Jagd auf Stromdiebe

TSCHECHIEN Halbstaatliche Elektrizitätswerke CEZ gehen mit Rollkommandos gegen vermutete illegale Machenschaften ihrer Kunden vor. Polizei ermittelt

PRAG taz | Der Mann liegt leblos auf dem Boden. Um seinen Kopf hat sich eine riesige Blutlache gebildet. Die Pistole, mit der er gerade seinem Leben ein Ende gesetzt hat, liegt neben der Leiche. Diese Videoaufnahmen belegen das tragische Ende eines Einsatzes am Nikolaustag 2005 im böhmischen Poděbrady. Ein Spezialkommando der Tschechischen Elektrizitätswerke (ČEZ) war einem angeblichen Stromschmarotzer auf die Spur gekommen. Der bekam solche Angst vor dem überfallartigen Gehabe der Männer in ihren schwarzen Uniformen, ihren Drohungen mit Strafverfolgung und Geldstrafen, dass er seine Pistole aus dem Safe holte und sich in der Garage erschoss. „Ich habe meinem Mann die Bücher geführt und weiß, dass er immer pünktlich den Strom bezahlt hat“, klagt die Witwe Petra P. Laut ČEZ habe der Tote jedoch illegal Strom im Wert von 20.000 Euro abgezapft.

„Ein tragischer Zwischenfall“, gibt ČEZ-Chef Martin Roman zu. Die Existenz des ČEZ-Einsatzkommandos von der „Abteilung für nichttechnische Verluste“ verteidigt er dennoch. „Es existiert, damit wir unseren Kunden nicht die Strompreise erhöhen müssen“, sagt der Manager – mit einem Monatseinkommen von 20.000 Euro und Boni in Millionenhöhe der bestverdienende Arbeitnehmer Tschechiens. Die Existenz eines solchen Einsatzkommandos sei gesetzwidrig, erklären tschechische Politiker, allen voran Exinnenminister Frantisek Bublan. „Das kann kein Stromkonzern machen.“

Politik wie Öffentlichkeit sind geschockt von den Machenschaften des halbstaatlichen Stromgiganten. In Fortbildungskursen der besonderen Art hat die ČEZ Rambos aus ihren Elektrikern gemacht. Beim Training wird geübt, wie man mit einer Pistole auf den Kopf eines Menschen zielt, Gefangene maskiert und Hühnern den Kopf abschlägt.

„Strom wird im großen Stil gestohlen, von bewaffneten Gangs, die bereit sind, Gewalt einzusetzen“, rechtfertigt Martin Roman seine ČEZ-Armee. „Unsere Leute begeben sich bei ihrer Arbeit in Lebensgefahr, und das kann nicht toleriert werden“, begründet er die Ausbildung des Kommandos.

Tatsächlich hat die „Abteilung für nichttechnische Verluste“ seit ihrer Gründung 2005 etwa 15.000 illegale Stromentnehmer überführt und dabei 90 illegale Marihuanaplantagen aufgespürt. Den ČEZ-Kunden seien rund zwei Millionen Euro erspart geblieben, beteuert Roman.

„Wer Strom stiehlt, sollte von der Polizei überführt und vor Gericht angeklagt werden“ sagt Rechtsanwalt Jan Rytíř, der rund 160 Opfer des ČEZ-Kommandos vertritt. „Stattdessen tyrannisiert die ČEZ“, meint er. Mit Hausfriedensbruch und Erpressung bekämpfe der halbstaatliche Stromgigant angebliche illegale Stromentnehmer, so Rytíř?

Der Anwalt aus dem mährischen Olomouc weiß von mindestens 50 Fällen, in denen die ČEZ-Rambos nur auf den Verdacht der illegalen Stromentnahme hin die Elektrizität abgeschaltet und Verdächtige in ihren Firmensitz im nordböhmischen Jablonec bestellt haben.

„Ich musste eine Stunde auf dem Hof warten, bis sie mich in einen Raum geführt haben, in dem die Türen keine Klinken hatten. Dort waren nur Kameras. Sie ließen mich eine weitere Stunde sitzen“, beschreibt der als Stromdieb verdächtigte Jiří Spáčil seinen Besuch bei ČEZ in Jablonec. „Obwohl ich weiß, dass ich nichts geklaut habe, habe ich nach einer Woche Psychoterror Geld zusammengekratzt und rund 11.000 Euro für ein Jahr Stomverbrauch nachgezahlt. Dabei hatte ich in den Jahren zuvor einen Verbrauch in Höhe von etwa 1.200 Euro“, sagt Spáčil.

Jetzt hat die tschechische Polizei, Abteilung organisiertes Verbrechen, sich des ČEZ-Kommandos angenommen. 26 Mitglieder sollen der Erpressung und des Datenmissbrauchs angeklagt werden. Ihnen drohen bis zu zwölf Jahren Haft. SASCHA MOSTYN