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Archiv-Artikel

„Die Hamas wird nun neue Ziele haben“

Avi Primor, der frühere Botschafter Israels in Deutschland, zeigt sich nach dem Wahlsieg der radikal-islamistischen Hamas-Bewegung in Palästina nicht pessimistisch. Die Hamas und Israel werden aufeinander zugehen müssen

taz: Herr Primor, die Hamas ist der große Wahlsieger der Palästinenser, Mahmut Abbas will sie mit der Regierungsbildung beauftragen. Wie lange kann Israel es durchhalten, nicht mit der Hamas zu reden?

Avi Primor: Das hängt von zwei Dingen ab: Zum einen, wie sich die Hamas entwickeln wird, weil sie sich jetzt in neuen Umständen befindet. Und es hängt zum anderen von uns Israelis ab.

Zunächst zur Hamas.

Die Hamas wird nun neue Ziele und eine neue Verantwortung haben. Sie weiß, dass die Mehrheit der Bevölkerung sie gewählt hat, nicht weil sie Fundamentalismus oder Terrorismus unterstützen, sondern wegen ihrer erfolgreichen Arbeit und Hilfe für die Ärmsten – und vor allem aus Protest gegen die Korruption in den palästinensischen Behörden. Die Hamas weiß, dass die Bevölkerung etwas ganz Bestimmtes erwartet, nämlich eine rasche Verbesserung der schrecklichen Lebensbedingungen in den Gebieten – und sie weiß, dass sie das nur erreichen kann im Einklang mit Israel: Sie sind von den Israelis umzingelt, beherrscht, meistens auch besetzt – ohne Zusammenarbeit mit den Israelis gibt es überhaupt keine Chance, die Lebensbedingungen der Palästinenser zu verbessern. Wenn sie das nicht schaffen, wird die palästinensische Bevölkerung von der Hamas enttäuscht sein.

Und wann sollte die israelische Regierung auf die Hamas zugehen?

Die israelische Regierung muss auch bereit sein, die Lebensbedingungen der Palästinenser zu verbessern, um die neue Regierung zu unterstützen. Das steht noch nicht bevor. Bis zu den Wahlen wird nichts passieren.

Und danach?

Nach den Wahlen am 28. März wird sich die israelische Regierung entschließen müssen. Und sie wird dabei nicht vergessen, dass die Hamas-Bewegung schon seit anderthalb Jahren entschieden hat, zumindest vorübergehend keine Terroranschläge mehr zu verüben. Der letzte Terroranschlag durch Hamas fand im August 2004 statt. Seitdem wollte die Hamas Ruhe haben und konnte es auch erzwingen. Die Hamas hat es bewiesen, dass sie sich zurückhalten kann, wenn sie es will, und sie hat es gewollt. Das wird man in Betracht ziehen müssen.

Aber die Charta der Hamas sieht immer noch vor, dass Israel aufhört zu existieren.

Ja, das war ja auch die grundsätzliche Ideologie der PLO, als ihre Führer die Oslo-Verhandlungen 1992 aufgenommen haben. Wir Israelis haben natürlich verlangt, dass diese Ideologie verändert wird. Dem hat die PLO zugestimmt, auch wenn sie einige Jahre brauchte, bis sie es durchgesetzt hat.

Bei der Hamas haben Sie die gleiche Hoffnung?

Ich weiß es nicht, schließe es aber nicht aus. Es ist möglich, nicht weil die Hamas-Leute uns plötzlich lieben, sondern weil sie jetzt andere Ziele haben und andere Bedürfnisse haben werden.

Hat die israelische Regierung denn vielleicht schon inoffiziell mit der Hamas gesprochen?

Inoffiziell – das würde ich nicht sagen. Es gab Kontakte zwischen Sicherheitsbehörden, aber nur über gezielte Punkte. Nein, bis heute, kann man sagen, hatten wir keine Kontakte mit denen. Aber ich schließe es nach den Wahlen und der Bildung einer neuen israelischen Regierung nicht aus.

Waren die Warnungen der israelischen und der US-Regierung, die Hamas zu wählen, nicht kontraproduktiv?

Ja, ich glaube schon. Die US-Amerikaner haben ja versprochen, sie würden mit so einer Regierung, mit so einer Bewegung nie sprechen – sie sprechen aber mit anderen ähnlichen Gruppierungen im Irak und in Afghanistan. Ich glaube, die Amerikaner werden eher realistisch sein.

Und dann auch irgendwann mit der Hamas reden.

Irgendwann, ja. Denn das ist politischer Realismus.

Insgesamt wirken Sie nicht so pessimistisch.

Ich bin gar nicht so pessimistisch. Die ersten Reaktionen werden qohl sehr pessimistisch sein, auch wegen der Wahlen bei uns. Es wird sich kein Politiker trauen, heute zu sagen, dass wir jemals mit der Hamas-Bewegung sprechen werden. Es könnte im Wahlkampf schädlich sein für jeden Politiker, also wird man das bis nach den Wahlen bestimmt nicht erwähnen. Man wird nur sagen: Jetzt sieht man, wir haben keinen Gesprächspartner. Die Palästinenser wählen die Terroristen, Fundamentalisten. Und so weiter. Aber nach den Wahlen wird man sich sachliche Fragen stellen müssen: Wie geht es weiter? Gibt es Terror seitens der Hamas? Will die Hamas wieder mit Terror beginnen? Wollen wir mit den Palästinensern Gespräche aufnehmen, zu denen wir auch mit Abbas nicht bereit waren? Oder wollen wir weiter einseitige Schritte unternehmen? Und wenn das rechte Lager an die Macht kommt: Wollen wir gar nichts machen? Das alles wird sich erst nach den Wahlen entscheiden.

INTERVIEW: PHILIPP GESSLER