Der willkommene Buhmann

Mit seiner antiisraelischen Rhetorik hat der iranische Präsident die Welt aufgeschreckt. Ein Krieg ums Atom droht der Region wegen Ahmadinedschad aber noch lange nicht

Der Iran fühlt sich auf der sicheren Seite. Von einem Boykott würde das Mullah-Regime sogar profitieren. Ahmadinedschad weiß, wie er mit seinem Anti-Zionismus in der arabischen Welt Verbündete sammelt

Großes Entsetzen machte sich jüngst breit nach den Äußerungen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad über Israel und den Holocaust, den er als „Mythos“ bezeichnete – ganz so, als hätte die Welt solche Worte noch nie aus einem iranischen Munde gehört. Dabei sprach Ahmadinedschad nur aus, was seit Jahren im Iran als offizielle Linie gilt: Die Ideologie, auf der die Islamische Republik seit ihrer Gründung fußt. Nun aber, nachdem Ahmadinedschad in den letzten Monaten seit seiner Amtsübernahme feststellen musste, dass er seine angekündigten Wahlversprechen – etwa die Umverteilung der Erdöleinkommen an die Armen – nicht umsetzen kann, setzt er auf bewährten Populismus, und holt dafür eine radikal antiisraelische Rhetorik aus der Mottenkiste.

Mit seinen martialischen Sprüchen gegen Israel geht es ihm auch darum, die Meinungsführerschaft in der arabischen Welt zu erlangen. Viele Araber sind für diese antiisraelische Rhetorik weit empfänglicher als die meisten Iraner. Das Schicksal der Palästinenser ist im Iran von geringem Interesse, man fühlt sich den Arabern grundsätzlich überlegen. Erst die Iraner hätten ihnen schließlich einst die Zivilisation gebracht, so eine weit verbreitete Sicht.

Seit der Revolution von 1979 gründet die Islamische Republik Iran auf drei Pfeilern: Auf der so genannten Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten, dem absoluten Kopftuchzwang sowie der Feindschaft gegenüber den USA und Israel. Zurück geht diese Staatsdoktrin auf den verstorbenen Staatsgründer Chomeini. Ajatollah Chomeini hatte sich für den Antizionismus als einigendes Band entschieden, um damit über alle nationalstaatlichen und konfessionellen Differenzen hinweg eine islamische Umma, eine alle Muslime umfassende Gemeinschaft, zu begründen. Er selbst wollte der Anführer dieser Gemeinschaft sein. Geschafft hat er das zwar nicht, doch die Rhetorik blieb.

Ahmadinedschad weiß, wie er damit am islamistischen Rand Stimmen sammeln kann. Kürzlich hat auch der Führer der Muslimbrüder in Ägypten erklärt, der Holocaust sei ein Mythos, und damit Ahmadinedschad nachgebetet. Und wenn er damit die Hamas und die Hisbollah im Libanon hinter sich weiß, kann Ahmadinedschad dies sogar als potenzielles Druckmittel gegen Israel und die USA benutzen.

Dem Gros der iranischen Bevölkerung ist die antizionistische Rhetorik des Präsidenten dagegen egal, genauso wie die antiamerikanische Rhetorik des Regimes. Ganz im Gegenteil: Je martialischer im Iran gegen die USA und Israel gewettert wird, desto sympathischer werden diese Staaten der Jugend.

Hinzu kommt, dass es keine iranische Geschichte des Antisemitismus gibt, die mit der deutschen vergleichbar wäre. Bis heute lebt in Iran, nach Israel, die größte jüdische Gemeinschaft im Nahen Osten. Die iranische Führung war immer bemüht, die Juden Irans von dieser martialischen Rhetorik auszunehmen, und sie werden auch jetzt nicht wie die fünfte Kolonne des Feindes behandelt.

Dennoch hat die antiisraelische Rhetorik den Westen aufgeschreckt. Doch wie man den Iran, dem man unterstellt, sein Atomprogramm nicht allein zu friedlichen Zwecken zu verfolgen, dazu bringen kann, die Urananreicherung aufzugeben, darüber herrscht allgemeine Ratlosigkeit. Alle Optionen sind problematisch, und weil die Iraner das wissen, fühlen sie sich im Moment auf der sicheren Seite.

Zwar könnte der Fall nun vor den UN-Sicherheitsrat kommen, und dieser könnte Sanktionen verhängen. Doch dies ist fraglich. Die Chinesen zögern, denn sie wollen das iranische Öl. Außerdem gefällt es ihnen nicht, dass die USA sich als „letzte verbliebene Weltmacht“ aufspielen. Gleiches gilt für Putin: Zwar haben die Iraner die Russen gerade vor den Kopf gestoßen, weil sie den russischen Vermittlungsvorschlag abgelehnt haben. Andererseits haben die Russen das iranische Atomprogramm aufgebaut und daran gut verdient.

Die zweite Frage ist: Was würden Sanktionen bewirken? Und welche Güter sollten davon betroffen sein? Beschließt man, den Iranern kein Erdöl mehr abzukaufen, brächte man damit die Weltwirtschaft in ernste Schwierigkeiten. Der Ölpreis würde ganz schnell auf hundert Dollar pro Barrel steigen. Man träfe also nicht nur die Iraner, sondern vor allem sich selbst. Mit Sanktionen belegen könnte man allenfalls den High-Tech-Sektor. Aber hier werden die Iraner bereits von den USA boykottiert, und diesen Boykott überlebt das Land schon seit 27 Jahren.

Die dritte Möglichkeit wäre, die Handelsbeziehungen auszusetzen. Das würde das Land zwar treffen. Doch dessen Führung ist bereit, so hoch zu pokern. Gerüchten zufolge hat sie bereits Lebensmittel und Medikamente eingekauft, die für die nächsten drei Jahre reichen würden. Ein weiteres Gerücht besagt, dass Iran vorhabe, sein Erdöl ab März nur noch in Euro zu verkaufen; dies würde vor allem die US-Wirtschaft empfindlich treffen. Und ein weiteres Gerücht besagt, dass die Iraner in dieser Woche ihre Auslandskonten in Europa leer geräumt haben, um einen Boykott besser zu überstehen.

Ein weiteres Dilemma der Europäer lautet, dass die iranische Führung von einem Boykott oder gar einem Angriff sogar profitieren könnte. Die Atomtechnologie ist zu einer Frage des nationalen Stolzes geworden, sogar in Bezug auf die Bombe ist sich die Bevölkerung recht einig. „Auch wir wollen Mitglied im Club sein“, sagen viele. Nicht wenige Iraner stimmen zudem ihren Führern zu, wenn diese sagen: Wir haben den Atomwaffensperrvertrag nicht verletzt, wir dürfen Uran anreichern. Verletzt hätten den Vertrag die Amerikaner, denn sie sind laut NPT zur Abrüstung verpflichtet, und tun es seit Jahren nicht.

Die westliche Welt manövriert sich also mal wieder selbst in eine Situation hinein, in der man ihr mit gutem Recht vorwerfen kann, sie messe mit zweierlei Maß. So empfinden es in diesem Atomstreit nicht nur die Iraner, sondern auch viele andere Länder der Dritten Welt. Wenn Ajatollah Rafsandschani jetzt sagt, es sei eine „arrogante und koloniale Attitüde“ des Westens, seinem Land die Urananreicherung zu verbieten, spricht er ein auch bei anderen Völkern verbreitetes Ressentiment an.

Ein Krieg mit Israel droht deswegen noch lange nicht. Die entscheidenden Politiker in Iran sind realistisch genug, zu wissen, dass ihr Land schneller vom Erdboden verschwunden wäre als Israel, wenn es den jüdischen Staat angriffe. So scheußlich die Reden von Ahmadinedschad auch sind, es bleibt deshalb festzuhalten, dass es sich dabei lediglich um Rhetorik handelt.

Warum reagiert der Westen dann so panisch? Vielleicht, weil er einen neuen Buhmann braucht? Mit Ahmadinedschad kann man jedenfalls eine Drohkulisse aufbauen – um dann umzusetzen, was man ohnehin schon länger vorhatte. Und man muss sagen: Niemand könnte den Israelis oder den Amerikanern derzeit einen besseren Vorwand liefern, den Iran anzugreifen, als dessen Präsident Ahmadinedschad selbst.

KATAJUN AMIRPUR