: Immer im Kreis und doch am Ziel
Seit einem Vierteljahrhundert haben die Mütter der Plaza de Mayo einmal im Jahr 24 Stunden am Stück gegen die Verbrechen der argentinischen Diktatur protestiert. Am Mittwoch trafen sie sich letztmalig zu einem solchen Marsch: Sie sind zufrieden
AUS BUENOS AIRES JÜRGEN VOGT
„Der Feind ist nicht mehr in der Regierung.“ Mit diesem Satz hatte die Vorsitzende der Organisation der Mütter der Plaza de Mayo, Hebe de Bonafini, den fünfundzwanzigsten und letzten 24-Stunden-Marsch des Widerstands angekündigt: „Der Präsident hat die Türen geöffnet, er hat Dinge getan, die niemand mehr erwartet hatte. Deshalb hören wir mit diesen jährlichen Protestmärschen auf. Aber nicht mit denen, die wir weiter jeden Donnerstag machen werden.“
Pünktlich am Mittwoch um 18.00 Uhr beginnen die Madres ihren Marsch um die Pyramide in der Mitte des Plazo de Mayo, die mit den Bildern der Verschwundenen geschmückt ist. Der Anlass ist auch ein Jubiläum. In der Nacht marschieren sie in den 1.500sten Donnerstagsmarsch hinein.
„1981 haben wir mit den 24-Stunden-Märschen angefangen. Das war noch unter der Militärdiktatur. Es waren damals wenige Mütter, aber viel Polizei auf dem Platz. Die ausländischen Korrespondenten hatten uns zugesagt, sie würden uns die ganze Zeit begleiten. Das haben sie auch getan, und wir konnten demonstrieren, es hat keine Repressionen gegeben. Dafür sind wir ihnen noch heute dankbar“, sagt Maria de Gutman, 78 Jahre, Mutter eines verschwundenen Sohnes. „Wir erzählen unsere einzelnen Geschichten nicht, wir sind die Mütter aller Verschwundenen. Heute noch gibt es Mütter, die aus Angst das Verschwinden ihrer Söhne und Tochter nicht angezeigt haben. Auch für diese demonstrieren wir.“
León Gieco hat die kleine Bühne betreten. Der Rockstar ist der Erste einer langen Reihe von Musikern und Künstlern, die ihre Teilnahme am Marsch zugesagt hatten. „Memoria“ klingt über die Plaza: „Alles ist in der Erinnerung aufbewahrt. Der Traum vom Leben und der Geschichte“, singt Gieco.
Am 24. März 1976 hatte das Militär die Macht ergriffen. Bis ins Jahr 1982 bestand die Diktatur. 30.000 Menschen sind verschwunden oder wurden ermordet. Im April 1977 trafen sich zum ersten Mal Mütter von Verschwundenen auf der Plaza. 1979 gründeten sie ihre Organisation. „Viele Jahre lang haben wir versucht, mit der Regierung zu sprechen. Erfolglos. Deshalb haben wir diese jährlichen 24-Stunden-Märsche gemacht. Der jetzige Präsident ist offener, er hat uns empfangen und mit uns gesprochen. Und deshalb hören wir damit auf.“ Maria de Gutman unterstreicht die Worte von de Bonafini.
Diese hatte noch einmal Revue passieren lassen: Erst hatten sie Vertrauen zu Präsident Rául Alfonsín, dann hat er plötzlich die Amnestiegesetze erlassen. Kaum kam Carlos Menem an die Regierung, wurde in 45 Tagen elfmal in das Haus der Madres eingebrochen und alles Bildmaterial über die Militärs gestohlen. Danach kam Fernando de la Rúa, der sie nicht einmal aus der Nähe sehen wollte und schon gar nicht im Präsidentenpalast. Mit Néstor Kirchner hat sich dies geändert, mittlerweile sind die Amnestiegesetze aufgehoben worden, der Präsident hat sich öffentlich für den Staatsterrorismus der Diktatur entschuldigt, die Madres sind empfangen worden. Für de Bonafini ist das Ziel der 24-Stundenmärsche erreicht.
Der Marsch geht weiter. Die Madres legen unterdessen eine Verschnaufpause ein. Maria de Gutman ist 78 Jahre alt: „Viele von uns sind bereits über 80, und wir marschieren.“ Hebe de Bonafini ist 77. Es ist kein Geheimnis das auch das Alter der Mütter eine Rolle bei der Entscheidung gespielt hat.
Doch die Nacht heute gehört ihnen. Auf der Bühne und um die Pyramide. Der Marsch geht weiter, hinein in den 1.500sten Donnerstag des Protests bis um 17 Uhr. „Und damit es keine Missverständnisse gibt: Wir werden weiter jeden Donnerstag marschieren,“ sagt Maria de Gutman.