Milliarden bleiben bei AKW-Betreibern

EU-Gericht weist Klage von deutschen Stadtwerken wegen Wettbewerbsverzerrung ab. Konzerne können weiter über rund 30 Milliarden Euro an steuerfreien Rückstellungen frei verfügen. Ausstieg aus Atomkonsens könnte diese Praxis aber beenden

VON CHRISTIAN RATH

Die deutschen AKW-Betreiber können mit ihren milliardenschweren Atomrückstellungen auch weiterhin Geschäfte machen. Gestern scheiterten drei deutsche Stadtwerke mit ihrer Klage beim Europäischen Gericht Erster Instanz (EuG) in Luxemburg. Die Richter konnten kein Privileg der Atombranche erkennen. Gegen die Entscheidung ist aber noch Berufung beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) möglich.

Über als 30 Milliarden Euro haben die AKW-Betreiber Eon, RWE, EnBW und Vattenfall angesammelt, um eines Tages die Meiler zurückzubauen und ein Endlager für den Atommüll zu finanzieren. Zu dieser Vorsorge sind sie gesetzlich verpflichtet. Für die Konzerne ist diese Verpflichtung aber Gold wert. Denn sie müssen die entsprechenden Rückstellungen nicht versteuern und können sie bis zum endgültigen Einsatz frei verwenden.

Hierin sahen die drei Stadtwerke Schwäbisch Hall, Tübingen und Uelzen eine unzulässige Beihilfe des Staates. „Die AKW-Betreiber können mit dem Geld ihre Preise senken, Werbung betreiben oder Unternehmen aufkaufen“, klagt Johannes van Bergen, Geschäftsführer der Stadtwerke Schwäbisch Hall. Damit werde der Wettbewerb verzerrt.

„Vor allem Eon und RWE haben in Mittel- und Osteuropa mit ihren steuerfreien Rückstellungen wahre Einkaufstouren unternommen“, ergänzt Dörte Fouquet, die Anwältin der Stadtwerke. Schlimmstenfalls stehe das Geld, wenn es benötigt werde, gar nicht mehr zur Verfügung.

Das EU-Gericht erklärte nun aber, dass die Rückstellungsregelungen keine staatliche Beihilfe für die AKW-Betreiber darstellen. Begründung: Die Steuerfreiheit der Rückstellungen gelte für alle Unternehmen in allen Branchen. Außerdem könnten Rückstellungen immer frei verwendet werden. Eine „selektive Vergünstigung“ der AKW-Betreiber liege also nicht vor – auch wenn die Summen hier ungleich größer als üblich seien. Im Verhältnis zu den Kosten für Rückbau und Endlagerung seien sie aber nicht überhöht.

Ein Eigentor schossen die Stadtwerke mit ihrem Hinweis, dass 1999 Sonderregelungen für Kernkraftwerke ins Steuerrecht aufgenommen wurden. Die rot-grüne Bundesregierung und der damalige Finanzminister Oskar Lafontaine hatten schließlich nicht im Interesse der Konzerne gehandelt, sondern wollten überhöhte Rückstellungen beschneiden. Zusätzliche Steuerforderungen in Milliardenhöhe waren die Folge.

Vermutlich kann die marktverzerrende Wirkung der gigantischen Atomrückstellungen nicht über Gerichte, sondern nur auf politischem Weg gelöst werden. Schon Ende der 90er-Jahre wollte Rot-Grün die Rückstellungen in einen staatlich kontrollierten Fonds überführen. Doch in der Atomkonsens-Vereinbarung 2000 verzichtete die Regierung auf ein derartiges Gesetz.

Deutschland blockierte deshalb im Jahr 2002 auch Pläne der EU-Kommission, europaweit eine staatliche Verwaltung der Rückstellungen vorzuschreiben. Sollten allerdings die Laufzeiten der Reaktoren unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wieder verlängert werden, wäre auch der für die Betreiber positive Teil der Ausstiegsvereinbarung hinfällig, drohte jüngst der SPD-Energieexperte Hermann Scheer. Dann müsse auch wieder über einen staatlichen Rücklagenfonds gesprochen werden.

„Wir sind enttäuscht von dem Urteil, weil es die Benachteiligung der kommunalen Energieerzeuger zementiert“, sagte der energiewirtschaftliche Geschäftsführer der Stadtwerke Tübingen, Achim Kötzle. Die Stadtwerke wollen nun darüber beraten, ob sie gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen. (Az: T-92/02)