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Archiv-Artikel

Kampftruppe oder politische Partei?

Der unerwartete Wahlerfolg zwingt die Hamas zur Neubesinnung. Die wahrscheinliche Strategie: Nach außen hin wird sie sich moderat geben – und im Inneren Frauen- und Freiheitsrechte einschränken

GAZA taz ■ Die Palästinenser sind mit der Fatah schlafen gegangen und mit der Hamas aufgewacht. Erste Hochrechnungen am Mittwochabend hatten noch einen knappen Sieg der bisher regierenden Fatah-Organisation prognostiziert. Doch am nächsten Morgen zeichnete sich eine absolute Mehrheit für die militant islamistische Hamas ab.

Sami Abu Zuhri, der Hamas-Sprecher in Gaza, schien am Morgen noch etwas perplex über die Wandlung. „Wir müssen die Lage erst einmal studieren, bevor wir über eine mögliche Zusammensetzung der Regierung nachdenken können“, sagt er der taz. Man werde mit allen politischen Gruppen Gespräche aufnehmen, auch mit der Fatah. „Wir sind nicht wie Fatah an einem Machtmonopol interessiert.“

Die Fatah selbst befindet sich im Schock. Am Abend zuvor waren ihre Milizen in Autokorsos durch Gaza gefahren und hatten in verfrühter Siegesgewissheit in die Luft gefeuert. Am Morgen aber war es vollkommen still. Hamas hat die Anweisung herausgegeben „Keine Siegesfeier, um die Fatah-Milizen nicht zu provozieren.“ Dauerhaft allerdings war die Ruhe nicht: Im Laufe des Tages stürmten hunderte Hamas-Anhänger das Parlamentsgebäude in Ramallah. Sie nahmen die palästinensische Flagge ab und hissten die grüne Fahne der Hamas. Eine der drängendsten Fragen der nächsten Tage ist, wie die Fatah ihre Macht abgeben wird. Die politische Führung unter Präsident Mahmud Abbas hatte bereits vor den Wahlen angekündigt, sich jedem demokratischem Votum zu beugen. Ob aber die einzelnen Fatah-Warlords der Al-Aksa-Milizen dem folgen werden, wusste gestern in Gaza niemand vorherzusagen.

Die Wahl war mehr eine Abwahl Fatahs als eine Wahl der Hamas. Das eigentliche Potenzial der Islamisten wurde vorher auf ein Drittel der Wähler geschätzt. Dass nun so viele für die Hamas gestimmt haben, hat auch damit zu tun, dass die Palästinenser einfach genug von der Misswirtschaft Fatahs, deren Korruption und den marodierenden Al-Aksa-Brigaden hatten.

Die Hamas gilt als Gegenmodell, ihre Kämpfer als diszipliniert. Dazu kommt, dass die Fatah in all den Jahren auf dem Verhandlungswege politisch nichts mit Israel erreicht hat. Den einseitigen israelischen Abzug aus dem Gaza-Streifen rechnen die Palästinenser eher den militärischen Operationen der Hamas an. Die Hamas steht nun vor einer Herausforderung, die viel zu groß für sie ist. Vor allem im Verhältnis gegenüber Israel besteht Klärungsbedarf.

Zwar hatten Hamas-Führer in den letzten Wochen moderate Töne angeschlagen, aber das Prinzip des bewaffneten Kampfes wollten sie nicht aufgeben. Parlamentsarbeit und bewaffneter Kampf seien kein Widerspruch, lautete die Parole.

Als eine Partei mit Regierungsverantwortung wird sie diese Dualität langfristig kaum aufrechterhalten können. „Die Anerkennung Israels ist der Preis für jeden, der bei den Palästinensern die Macht übernimmt“, sagt der palästinensische politische Kommentator Nasser Aliywa. Die Hamas, so glaubt er, würde einen palästinensischen Staat plus-minus der Grenzen des 67 Krieges neben Israel als Lösung akzeptieren. Immer wieder hatten einzelne Hamas-Vertreter signalisiert, dass sie sich eine Zweistaatenlösung vorstellen können.

Die Hamas hat zwei Möglichkeiten: Sie kann sich innenpolitisch oder außenpolitisch profilieren. Sie wird sich gegenüber dem Westen und Israel wohl pragmatisch und moderat geben. Der Preis für diese Zähmung wird innenpolitisch bezahlt.

Aliywa erwartet eine rigidere Politik im Inneren, zum Beispiel in Frauenfragen oder Fragen der öffentlichen Moral. „Hamas wird versuchen, der palästinensischen Innenpolitik eine islamische Farbe zu verpassen“, sagt er.

Die Hamas befindet sich mitten in der Umwandlung von einer militanten Kampftruppe zu einer politischen Partei. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Der überraschende Wahlsieg kam in diesem Sinne für Islamisten zu früh. Eines sei sicher, sagt Aliywa: „Die Hamas von gestern ist nicht die Hamas von morgen.“ KARIM EL-GAWHARY