: Augen zu und durch
Patienten müssen sich gedulden: 3.200 Augenleidende warten momentan in Niedersachsen auf ihre Operation. Grund ist der Ärzte-Streik. Kommende Woche versucht das Schiedsgericht zu schlichten
von Manuela Sies
„Eine Voruntersuchung ist möglich“, sagt der Augenchirurg Burkhardt Awe auf die Frage nach einem Termin für einen Eingriff. „Aber eine Operation? Das könnte ich nicht bezahlen.“ Awes Absage betrifft momentan 3.200 Patienten in Niedersachsen: Sie alle warten auf eine ambulante Augen-OP. Und täglich werden es mehr.
Awe führt nämlich nicht nur ambulante Operationen in einem Wilhelmshavener Krankenhaus durch. Er ist auch Vorsitzender der „Qualitätsgemeinschaft Augenheilkunde Nordwest“ (QAN). In der sind 90 Prozent der niedersächsischen Augenärzte organisiert. Vor zwei Monaten hat sich die QAN dem Ärzte-Streik angeschlossen. Seither operieren auch die Augenärzte ebenso wie Hautärzte und Chirurgen nur noch im Notfall ambulant. Oder wenn die Patienten eine Kostenübernahmeerklärung bei ihrer Krankenkasse erkämpfen können. „Etwa die Hälfte der ambulanten Operateure streikt“, weiß Detlef Haffke von der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN). „Das sind 1.450 Praxen.“
Grund: Ein im Frühjahr 2005 abgeschlossener Honorarvertrag zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und der KVN. Der besagt, dass die ärztlichen Leistungen mit einem Punktwert von 5,11 Cent vergütet werden. Das wurde seitens der KVN akzeptiert. Doch dann lief der „Honorarpool“ leer – weil mehr ambulante OPs durchgeführt wurden als im Budget vorgesehen. Also wurde der Punktwert runtergesetzt mit dem Ergebnis, dass die Ärzte nur noch halb so viel Geld für die gleiche Leistung bekommen: Experten kalkulieren pro OP Kosten von 562,47 Euro. Nach aktuellem Abrechnungsmodus erhält ein Augenchirurg aber nur 243,49 Euro. Also müsste der Arzt „die Hälfte der Kosten aus eigener Tasche bezahlen“, so Awe. „Da würde ich in kürzester Zeit bankrott gehen.“
Solange kein Notfall vorliegt, heißt es also: Warten. Besonders hart trifft das ältere Patienten, deren Sehfähigkeit sich durch Grauen Star verschlechtert. Aber tragen die Ärzte damit den Konflikt nicht auf dem Rücken der Patienten aus und benutzen sie als Druckmittel?
Awe verneint das. Nach dem Ärztegelöbnis müsse er seinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben. Und das sei im Moment so nicht möglich. „Wir informieren unsere Patienten über das Problem und die meisten zeigen Verständnis.“
Bislang haben sich Ärzte und Krankenkassen nicht einigen können. Am ersten Februar steht ein Spruch des Schiedsgerichts in Hannover an. Ungewiss, ob der den Konflikt löst: Bereits im Dezember war ein Termin aus Sicht der KVN gescheitert. Der Richter hatte einen Punktwert von 3,44 Cent festgelegt.
„Das war völlig willkürlich“, so Haffke. Kompromissbereit ist man nicht: Gefordert wird die Rückkehr zur 5,11 Cent-Marke. Parallel zum Schiedsverfahren betreibt die KV daher eine Klage vorm Sozialgericht. Laut Krankenkassen entspräche das „einer Honorarsteigerung von 60 Prozent“. Man fordere bloß „dass unsere Arbeit genauso gut vergütet wird wie in anderen Bundesländern“, hält Awe dagegen. In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen etwa würden die Operationen nach dem geforderten Punktwert abgerechnet. Angeblich empfehlen manche Kassen sogar, für die OP dorthin zu reisen.
Der Konflikt hat aber nicht nur Folgen für Ärzte und Patienten. Im Krankenhaus, in dem Awe praktiziert, wird nur noch an einem Tag pro Woche operiert, maximal. Vor Streikbeginn waren es drei. Etliche niedersächsische Augenarztpraxen haben Kurzarbeit für Büropersonal und Pflegekräfte eingeführt. Vereinzelt kam es zu Entlassungen. „Für Schwestern, die sonst im OP-Saal zum Einsatz kommen, ist das bitter“, weiß QAN-Geschäftsführerin Birgit Fischer. „Diese Frauen sind häufig allein erziehend und verlieren auch noch ihre Arbeit.“
Die QAN hat das niedersächsische Sozialministerium um Unterstützung gebeten. In Hannover hält man sich aber zurück. „Es ist Sache der Selbstverwaltungsorgane, eine Lösung zu finden“, so Pressesprecher Thomas Spieker.