: Die Zensur liest mit
Eine Kreuzung aus Picknick, Bazar, gut sortierter arabischer Buchhandlung und Schwarzmarkt: Eindrücke von der 38. Kairoer Buchmesse, auf der dieses Jahr Deutschland als Ehrengast vertreten ist
VON JULIA GERLACH
Kairo ist die Stadt der Gerüchte, und eines davon besagt, dass die Organisatoren des Gastlandauftritts der arabischen Welt 2004 in Frankfurt so begeistert von der Frankfurter Buchmesse waren, dass sie am Nil die Losung ausgaben: „Kairo wird jetzt Frankfurt.“ So weit das Gerücht. Man holte sich Unterstützung und erklärte Deutschland zum Ehrengast der 38. Kairoer Buchmesse.
Die Bundesrepublik ist mit einem großen Stand, inklusive kunterbuntem Kinderspielzimmer und eigener Bühne für Veranstaltungen, vertreten. Hier sieht es tatsächlich aus wie in Frankfurt. „Es ist schön hier, es gibt interessante Themen über uns und euch“, sagt eine junge Frau und schaut zur Bühne. Dort diskutieren gerade deutsche und ägyptische Islamwissenschaftler über gegenseitige Fehlwahrnehmungen. „Hier können wir uns auch einmal einen Moment ausruhen von dem da“, seufzt die Frau mit Glitzerspange am Kopftuch. Zu ihren Füßen spielt eine Dreijährige mit der Holzeisenbahn.
Mit „dem da“, meint sie die Kreuzung aus Picknick, Bazar und Schwarzmarkt, die die Kairoer Messe ausmacht. Verlage, die es sich leisten können, gehen nicht in die stickigen Hallen, sie haben eigene Verkaufspavillons, oder sagen wir: Buden. Auch der staubige Boden verstärkt den Jahrmarktcharakter. Im Vorbeischlendern gucken und kaufen die Menschen. Familien, Frauengruppen mit kleinen Kindern, Liebespaare und viele Grüppchen von Männern, die die kurze Gallabiya der Salafisten tragen.
Da es in der arabischen Welt kaum ein funktionierendes Vertriebssystem für Bücher gibt, ersetzt die Messe eine gut sortierte Buchhandlung. Hier kauft man Schulbücher für den Rest des Jahres. Verbilligte Kinderbücher, Romane aus aller Welt und viel, viel Religiöses. Deswegen die ganzen Langbärte. Vielleicht wollte die Messeverwaltung zumindest optisch ein wenig Frankfurt in das Getümmel bringen und stellte – als Sichtschutz gegen das Chaos – elegante blaue Klötze vor die Verkaufsbuden. Am dritten Messetag mussten sie abgebaut werden, schließlich standen die Stellwände nur vor ganz bestimmten Buden.
Auch Dar al-Shorouk war betroffen, der Verlag des Chefs des arabischen Verlegerverbandes Ibrahim al-Moallem. Ihm soll der Kragen geplatzt sein, so die Gerüchte. Verstärkt wurde sein Zorn durch eine weitere Affäre: Er plant das bekannteste aller in Ägypten zensierten Bücher, „Die Kinder unseres Viertels“ von Nobelpreisträger Naguib Machfus, herauszubringen.
Das 1959 geschriebene Buch ist wegen seiner Parallelen zur Prophetengeschichte den Religiösen ein Dorn im Auge und deswegen in Ägypten bisher nur auf Englisch oder unter dem Ladentisch zu haben. Dar al-Shorouk reichte das Buch zur erneuten Begutachtung beim zuständigen Bücherkomitee der Al-Azhar-Universität ein. Die Gelehrten, die in der Vergangenheit häufig Bücher als islamisch-unkorrekt aus dem Verkehr zogen, sollen derzeit – auf Druck der Regierung – milde gestimmt sein. So wird damit gerechnet, dass „Die Kinder unseres Viertels“ in den nächsten Wochen erscheint. Womöglich sogar in doppelter Ausgabe: Dar al-Hillal, ein staatlicher Verlag, hat nämlich auch gedruckt. Eine Volksausgabe. Die Auslieferung wurde allerdings gestoppt. Nicht von ungefähr nennt man Verlegerchef Ibrahim Mualim auch den „Pharao“. „In diesem Jahr ist die Zensur spürbar leichter geworden“, bestätigt Khaled al-Maaly den Trend. Er ist der einzige deutsche Verleger, der mit einem eigenen Stand in Kairo vertreten ist. Ganz hinten in der Halle „Amerika“ verschwindet der graubärtige Mann fast hinter den Stapeln seiner Neuausgaben. Al-Maaly ist auf Übersetzungen aus dem Deutschen spezialisiert, auch andere westliche Literatur, Sachbücher und Anstößiges von arabischen Autoren hat er im Sortiment. 50 Titel produzierte er allein im vergangenen Jahr und mancher von diesen ist geeignet, die Religiösen gegen sich aufzubringen. Nietzsche und die deutsche Aufklärung gehören bei ihm zum Standard.
In diesem Jahr hat er „Aufbruch“, das Buch der bekennenden Lesbe und antireligiösen Muslima Irschad Manji, ins Arabische übertragen. „Man muss die Leute aufrütteln“, sagt al-Maaly und nimmt dem Vertreter einer staatlichen Bibliothek aus Saudi-Arabien einen Stoß Geldscheine ab. Mit einer Sackkarre schafft dieser seine Einkäufe davon: zwei Bücher von jedem neuen Titel, als gäbe es keine Tabus. Al-Maaly tingelt von Buchmesse zu Buchmesse in der arabischen Welt. Das ist der Markt des Kölner Kamel-Verlages. Er weiß, was die Zensur beschlagnahmt und was nicht. „Ich habe in diesem Jahr sogar die Bücher wiederbekommen, die mir die Zensur im letzten Jahr abgenommen hat“, berichtet er. „Vielleicht wollten sie sich nicht blamieren, wo doch Deutschland Gastland ist.“
Am deutschen Stand ist inzwischen die Berliner Islam-Professorin Gudrun Krämer zur Attacke übergegangen: „Viele muslimische Kollegen sprechen uns westlichen Orientalisten quasi das Recht ab, uns über islamische Fragen zu äußern, oder versuchen uns zum Islam zu bekehren“, sagt sie. Der ägyptische Professor Abdelwahab al-Messiri grinst, als er die Übersetzung über Kopfhörer verfolgt: „Liebe Kollegin, sehen Sie es uns nach, wie können wir wollen, dass eine so schöne und gebildete Frau wie Sie ungläubig in die Hölle kommt“, entgegnet er dem Missionsvorwurf. Da klafft der Graben zwischen den Kulturen. „Der grundlegende Unterschied zwischen unseren Kulturen ist die stärkere religiöse Gebundenheit hier, der moderne Verfassungsstaat bei uns, der auf der Säkularisierung beruht“, sagt Jutta Limbach, Chefin des Goethe-Instituts, das gemeinsam mit der Buchmesse Frankfurt für das Kulturprogramm des deutschen Auftritts verantwortlich ist.
Weniger diplomatisch äußert sich Thomas Brussig: „Hier scheint es Konsens zu sein, dass alles, was von Belang ist, im Koran steht und dass nichts von Belang ist, was nicht im Koran steht“, schreibt er in seinem Internettagebuch. Brussig ist auf Einladung des Goethe-Instituts zurzeit Stadtschreiber in Kairo und wird auch prompt für seine Bemerkungen angegriffen, als er sich auf der Bühne des deutschen Standes seinen Lesern stellt. Wie er sich nach wenigen Tagen im Land ein solches Urteil erlauben kann, will eine Studentin wissen. „Das Ziel unserer Veranstaltungen ist, dass wir einander kennen lernen, die Stärken und Schwächen der anderen Seite sehen und auch die Unterschiede. Wichtig ist, dass aus den Unterschieden keine Aggressionen abgeleitet werden“, beschreibt Johannes Ebert, der Leiter des Goethe-Instituts in Kairo. Die Dialogveranstaltungen mit Intellektuellen könnten nur bis zu einem gewissen Punkt führen. „Dann muss man daran gehen, persönliche Begegnungen zu schaffen“, sagt er. Menschen lernen sich eben nur kennen, wenn sie sich tatsächlich kennen lernen, da ähnelt Kairo tatsächlich Frankfurt.
Als die arabische Welt bei der Messe am Main zu Besuch war, wurde auch viel und viel aneinander vorbei geredet. Damit sich das ändert, hat sich das Goethe-Institut etwas Neues ausgedacht: Lilak. Die neue Generation des Dialogs quasi. Ähnlich wie nach dem Zweiten Weltkrieg Deutschland und Frankreich durch tausende Brieffreundschaften zusammengeschweißt wurden, sollen junge Deutsche und junge Ägypter die Kluft zwischen Orient und Okzident durch Internetchats überwinden.