: Vierzig Jahr, rotes Haar
DAS VERSAGEN DER PROJEKTION Der Film „Nénette“ (Forum) über eine Orang-Utan-Dame im Zoo zehrt vom Kontrast zwischen Wort und Bild
Eine ältere Tierpflegerin spricht über Nénettes Schmerzen. Viele Jahre lang war sie der Star im Pariser Jardin des Plantes. Nun ist die Orang-Utan-Dame vierzig Jahre alt, die jüngeren Affen stehlen ihr die Schau, es fällt ihr schwer, die Konkurrenz zu ertragen. Man hört die Stimme der Pflegerin, zu sehen ist sie nicht. Stattdessen sieht man Nénette mit ihrem leuchtend roten Haar, während sie einen Kopf Feldsalat verspeist. Langsam, mit behäbigen Bewegungen, führt sie Blatt um Blatt an den Mund. Was ein Farbkontrast aus Grün und Rot! An diesem Bild prallen die Sätze der Pflegerin ab. Alles, was sie sagt, beschreibt ihre eigene Situation besser als die des Tiers.
„Nénette“, der neue Film des französischen Dokumentaristen Nicolas Philibert, zehrt von dem Kontrast aus Wort und Bild. Zu sehen sind, 70 Minuten lang, die Orang-Utans, meist in ihrem Glaskäfig, manchmal im Freigehege. Zu hören sind die Affen kaum, dafür die Kommentare der Zoobesucher und der Pfleger. Junge Italiener machen keinen Hehl daraus, dass sie auf Rothaarige stehen. Ein Kind sagt über Nénette: Sie „sieht so seltsam wie ein Mensch aus“. Eine Frau erzählt eine Geschichte: Orang-Utans könnten sehr wohl sprechen, sie tun es aber nicht, damit sie nicht von den Menschen zur Arbeit gezwungen werden. Ein Freund des Regisseurs denkt über das Nichtstun dieser Tiere nach und fragt sich, was in ihren Köpfen vor sich geht. Selten sieht man, wie sich die Zoobesucher in den Scheiben spiegeln.
Der Kontrast aus Bild und Ton ist ein potenter Motor für „Nénette“. Hilflos sind die Versuche der Menschen, dem Tier mit ihren Sätzen näherzukommen, diesem undurchdringlichen Wesen, das doch im selben Augenblick – da hat das Kind ganz recht – einem Menschen auf so frappierende Weise ähnelt. Vielleicht verlässt sich Philibert zu sehr auf die Klarheit dieses Kontrasts, auf das Versagen der Projektion angesichts ihres Gegenstands, der allen Zuschreibungen trotzt. Das ändert nichts daran, dass die Bilder der Orang-Utans großes Vergnügen bereiten – etwa wenn die Kamera ausgiebig verfolgt, wie Nénette Joghurt isst, dann zwei Trinkflaschen aufschraubt, den Saft in den Joghurtbecher gießt und schließlich ausschlürft. Manchmal ist sie apathisch, eine Gefangene, deren ursprünglicher Lebensraum, der Urwald von Borneo, zerstört wird. Aber vielleicht ist auch das nur eine Projektion. Einmal sind die Scheiben des Geheges beschlagen; lang blickt man auf die milchige Fläche. Allmählich tritt der Umriss eines Affen aus dem Weiß hervor, ein Orang-Utan im Nebel. CRISTINA NORD
■ Heute, 20 Uhr, Colosseum 1; Do., 18. 2., 22 Uhr, CinemaxX 4