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Archiv-Artikel

Krankmacher im Klassenraum

In nordrhein-westfälischen Schulen spitzt sich der Streit um Gift belastete Klassenräume zu. Ein Lehrer in Nideggen verklagt die Stadt, in Hamm sollen die LehrerInnen jetzt „regelmäßig lüften“

von ANNIKA JOERES

Gutachter bestreiten Gutachten, Schulleiter bekämpfen ihre KollegInnen und SchülerInnen erklären ihre Banknachbarn zu Hypochondern: Gift in Klassenräumen entzweit Gemeinschaften an NRW-Schulen. „Die Fronten sind verhärtet“, sagt Andrea Pfeiffer von der Hammer „Initiative Gesunde Schule“.

Auf einer Diskussionsveranstaltung der Stadt und der Dietrich-Bonhoeffer-Schule in der vergangenen Woche kam es zu keiner Einigung: Die Behörden sehen keine Notwendigkeit, die Schulräume zu sanieren, Eltern haben mit eigenen Gutachten vergeblich versucht, die Sanierung der Schule ihrer Kinder zu erzwingen. „Mein Sohn leidet unter Husten und Kopfschmerzen“, sagt Pfeiffer.

Pfeiffer kämpft nicht allein: Nach Auskunft des Bielefelder Landesinstituts für öffentliches Gesundheitswesen (LOEGD) ist das Gift an Schulen ein heiß diskutiertes Thema. Zwar gebe es keinen Überblick über die Situation in ganz NRW, weil die Schulträger eigenverantwortlich über die Sanierung und den Zustand ihrer Schule entscheiden. „Aber im ganzen Land gibt es ein grundlegendes Problem mit Lehrgebäuden“, sagt Friederike Neisel vom LOEGD. Die Gebäude seien oft alt und Häuser aus den 1960er Jahren mit Flachdächern zum Beispiel anfällig für Feuchtschäden und giftigen Schimmel. „Das bestreitet niemand.“ Zündstoff berge nur die Bewertung der möglichen Gesundheitsschäden. „Denn da gibt es einen großen Ermessensspielraum“, so Neisel.

Auch in der kleinen Eifelstadt Nideggen schwelt der Streit um ein verseuchtes Schulzentrum schon seit Jahren. Zahlreiche Eltern haben per Gerichtsbeschluss ihre Kinder von der Schule nehmen dürfen, jetzt verklagt ein Lehrer die Schulbehörde: Sie habe sich nicht um seine Gesundheit gesorgt. In der Schule wird das Thema Gift mittlerweile tot geschwiegen. Der Gutachter des Lehrers, Tino Merz, sagt: „Mein Mandant wurde mehrfach eingeschüchtert.“ (siehe Interview). Über ein halbes Jahr nach dem Bezug des Neubaus fand der TÜV einen ganzen Cocktail an gesundheitsschädlichen Stoffen, leichtflüchtige organische Verbindungen in hoher Konzentration, die vermutlich aus dem Kleber des Fußbodens stammen. Dutzende Kinder klagen über Beschwerden, die typisch sind für eine so genannte Polyneuropathie: Kopfschmerzen, angegriffene Schleimhäute, Husten, Schwindelgefühle.

Dieselben Symptome beobachtet auch Andrea Pfeiffer an ihrem Sohn und seinen Schulkameraden. Der Gutachter der Schule bescheinigte den Klassenräumen zwar eine erhöhte Asbestbelastung. Er empfahl allerdings lediglich, die Räume regelmäßig zu lüften. „Das ist viel zu wenig“, sagt Pfeiffer. Einmal seien zahlreiche Kinder mit dem Verdacht auf Blinddarmentzündung in die Klinik gebracht worden, bis sich am Ende herausstellte, dass die Schleimhäute des Darms gereizt waren. Pfeiffer glaubt zu wissen, warum ihre Forderungen nicht erfüllt werden. „Unsere Schule würde ein Exempel im ganzen Land statuieren“, sagt sie. Das habe dann Auswirkungen auf alle weiteren 60 Schulen in Hamm oder tausende in Nordrhein-Westfalen.

Die Stadt fühlt sich für die Beschwerden der Schulkinder nicht verantwortlich. „Unser Gutachten hat bewiesen, dass die Schüler nicht gefährdet sind“, sagt Christian Strasen, Sprecher der Stadt Hamm. Er sieht die Elterninitiative in der Minderheit. „Wie bei jedem Problem gibt es Teilgruppen, die sich besonders betroffen fühlen“, so Strasen. Andrea Pfeiffer verfolge nur ihre persönlichen Interessen, darauf könne die Stadt keine Rücksicht nehmen. „Wenn eine Einzelperson plötzlich eine Fußgängerampel vor der Haustür fordert, können wir die auch nicht einfach dahin bauen.“