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Archiv-Artikel

Die Hamas will eine „Armee“ gründen

Politchef Khaled Mash’al spricht sich für eine Einbindung der militanten Kämpfer in die palästinensischen Sicherheitsdienste aus. Israels Verteidigungsminister droht für den Fall von neuen Terroranschlägen mit weiteren „präventiven Hinrichtungen“

AUS JERUSALEMSUSANNE KNAUL

Hamas-Politchef Khaled Mash’al will die Kämpfer der Hamas in die Uniformen der palästinensischen Sicherheitsdienste kleiden. „Um unser Volk gegen Angriffe zu schützen“, so rechtfertigte der in Damaskus ansässige Islamist seinen Wunsch nach einer Umstrukturierung der Armee. Unter den Gewinnern der Parlamentswahlen vergangene Woche war zudem Sorge vor einem möglichen Militärputsch aufgekommen.

Die Frustration in der Fatah, die nur ein Drittel der Abgeordnetensitze erhielt, macht sich indes vorerst in den eigenen Reihen Luft, wo der Ruf nach einem Rücktritt der alten Führungsriege der Partei immer lauter wird.

Im Gaza-Streifen wird die Mitgliederzahl der As-a-din-el-Kassam-Truppen, dem bewaffneten Arm der Hamas, auf 5.000 Männer geschätzt. „Die Hamas hat kein Recht, sich in Sicherheitsfragen einzumischen“, lehnte der nationale palästinensische Sicherheitsberater Jibril Rajoub (Fatah), die Idee Mash’als ab.

Paradoxerweise wird in diesen Tagen das international kritisierte Festhalten des verstorbenen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat an seinem Kommando über den Sicherheitsapparat zum Hoffnungsschimmer für den Nahen Osten. Arafats Nachfolger Mahmud Abbas beeilte sich, die Chefs der Sicherheitsdienste daran zu erinnern, dass sie dem Büro des Präsidenten unterstellt sind und nicht der künftig von der Hamas geführten Regierung. Abbas garantierte den mehrheitlich mit der Fatah sympathisierenden Sicherheitsangehörigen, dass ihre Arbeitsstellen nicht gefährdet seien.

Während der Palästinenserpräsident trotz der Wahlschlappe von seiner Partei gestützt wird, forderten zahlreiche Zivilisten und Polizisten den Rücktritt des Fatah-Zentralrats, der für den miserablen Wahlausgang verantwortlich gemacht wurde. Die Demonstranten besetzten für kurze Zeit die Parlamentsgebäude in Gaza und Ramallah. Zudem wurden bei gewalttätigen Auseinandersetzungen unter Parteigenossen am Wochenende im südlichen Gaza-Streifen acht Polizisten verletzt.

„Veränderungen innerhalb der Fatah sind wichtiger als eine Mehrheit im Parlament“, kommentierte Mohammad Dahlan, ehemals Sicherheitschef im Gaza-Streifen und einer der führenden Nachwuchspolitiker. Dahlan forderte eine Generalversammlung der Partei, um eine neue Führung zu wählen.

Die israelische Regierung stellte unterdessen drei Forderungen an die neue palästinensische Führung: die Entwaffnung der Widerstandsgruppen, die Annullierung der Kapitel in der Hamas-Charta, die zur Zerstörung Israels aufrufen, und die Anerkennung der bisherigen Abkommen zwischen Israel und der Autonomiebehörde.

„Die internationale Gemeinschaft akzeptiert diese Prinzipien“, resümierte Israels amtierender Premierminister Ehud Olmert bei der sonntäglichen Kabinettssitzung seine telefonischen Beratungen mit den Regierungschefs von Ägypten, Jordanien, Frankreich und England sowie UN-Generalsekretär Kofi Annan.

Verteidigungsminister Schaul Mofas bezeichnete das Verhalten der Hamas seit Bekanntgabe der Wahlergebnisse als „verantwortungsbewusst“. Vorläufig rechnen die israelischen Sicherheitsdienste nicht mit dem Aufflammen neuer Gewalt. Mofas stellte jedoch eine Fortsetzung der „präventiven Hinrichtungen“ auch gegen gewählte Hamas-Führer in Aussicht, sollte es zu neuen Terroranschlägen kommen.

Die Wende bei den Palästinensern bleibt vorläufig ohne Wirkung auf den israelischen Wähler. Wie die „Stimme Israels“ gestern errechnete, zeigt der Durchschnitt der Ergebnisse von fünf Umfrageinstituten ein konstantes Bild: 42 Prozent für die Kadima, 21 Prozent für die Arbeitspartei und 14 Prozent für den Likud.

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