New York ist die schwulste Stadt der Welt
WILD SIDE Eine Reihe von Filmen widmet sich queerer Geschichtsschreibung. Allein, es fehlt die strukturierende Idee
Wann immer Andy Warhol ins Bild kommt, wird „Andy Warhol“ von David Bowie angespielt
VON DIEDRICH DIEDERICHSEN
Ed Koch spricht gleich zweimal in staatsmännischer Pose in die Kamera des Dokumentarfilmers Crayton Robey. Für dessen „The Making of the Boys“ über das Theaterstück „Boys In The Band“ und dessen Auswirkungen auf die schwule Geschichte ist der ehemalige New Yorker Bürgermeister ein nahe liegender Experte, der sich zugute hält die Diskriminierung von Schwulen und Lesben in der Stadtverwaltung gestoppt zu haben. Die ihm nachgesagte Homosexualität hat er indes immer bestritten. Darüber hinaus, und darauf weist Rosa von Praunheim in seinen „New York Memories“ hin, galt Koch, der in seiner Amtszeit etwa schwule Saunen schließen ließ, weil er sie für die Verbreitung von Aids verantwortlich machte, Hetero-Saunen aber offen ließ, neben Reagan als Hauptfeind des Aids-Aktivismus.
So unterschiedlich also die Filme auftreten, die sich auf dem diesjährigen Festival ganz oder teilweise schwuler, lesbischer, transsexueller, transgender bzw. queerer Geschichtsschreibung widmen, so einig sind sie sich alle an einem Punkt: „New York ist die schwulste Stadt der Welt“ (Rosa von Praunheim), „Es gab nur einen Ort für Menschen, die nirgendwo reinpassten – New York“ („Beautiful Darling – The Life and Times of Candy Darling, Andy Warhol Superstar“, Regie: James Rasin), und ganz ähnlich äußert sich auch Mart Crowley, Autor von „Boys in the Band“, der genau wie Candy Darling einem feindlichen und provinziellen Elternhaus nach New York entrinnen konnte. Und auch „Blank City“, der sich den No-Wave-Filmen und dem Cinema of Transgression widmet, kommt immer wieder zu dem Schluss, dass das, was da ging, nur in New York ging.
Leider ähneln sich die Dokumentarfilme des Festivals – und nicht nur die, die sich der queeren Geschichte widmen – nicht nur in einem Punkt. Man dreht heute solche Filme mit Geld vom Sundance Channel oder anderem Art-House-TV und muss sich an bestimmte TV-Regeln halten. Die Soundbites der Zeitzeugen rattern im gnadenlosen Beat der Halbsätze, mal mehr („Beautiful Darling“), mal weniger („Making The Boys“) hektisch punktiert durch historische Film/Doku-Bits von maximal drei Sekunden, obwohl man bei jedem einzelnen sagen möchte: Stopp, halt mal, kann ich das noch mal sehen? In welcher Zeitschrift hat 1963 gestanden, dass Schwule kleine Kinder schlachten? Derweil die Soundbites sich meist je hektischer sie montiert sind, desto einstimmiger zu jeweils einem Konsens über einen Gegenstand addieren.
Dazu kommt eine Musikpolitik, die, wann immer Andy Warhol ins Bild kommt, „Andy Warhol“ von David Bowie anspielt, und wann immer gesagt sein soll, dass eine Person „es geschafft“ hat, eine Version von „The In Crowd“ erklingen lässt – von Bryan Ferry bis zum Ramsey Lewis Trio. Dass man „Take A Walk On the Wild Side“ irgendwann auch nur noch in der Fassung von Paul Kuhn ertragen kann, brauche ich wohl niemandem zu erzählen. Wer also mit John Waters, Glenn O’Brien oder Penny Arcade reden möchte, sollte sich nicht wundern, keinen Termin zu bekommen: die Leute liefern Soundbites im Akkord. Dass bei all den keineswegs uninteressanten Auftritten vieler ans Herz gewachsener Figuren von Holly Woodlawn (in einem fantastischen Kostüm in „Beautiful Darling“) bis zu James Chance (die Substitution von Heroin durch Alkohol hat ihn Martin Sheen ähnlich werden lassen) bei den jungen Leuten wie etwa der sympathischen Filmemacherin Céline Danhier („Blank City“) keine andere These übrig bleibt, als dass alle damals eine „wahnsinnige Energie“ gehabt hätten, ist diesem Format geschuldet. Fetischisierung von O-Tönen, komplette Abwesenheit von Thesen und strukturierenden Ideen, kein Interesse an Geschichtsschreibung.
Keiner der Filme versäumt zwar, uns zu informieren, dass erstens mit Stonewall alles anders wurde, zweitens in den 80ern Aids alles zerstörte und drittens heute die Mieten höher sind als damals. Selten aber wird die Politisierung des Aids-Aktivismus auch nur ansatzweise rekonstruiert, nur wenige Sätze von Edward Albee und Larry Kramer (in „Making of the Boys“) lassen ahnen, dass und welche politischen Dissense es innerhalb queerer Bewegungen gegeben hat. Dazu kommt, dass jede Doku kontrafaktisch dazu neigt, ihr Thema beim absoluten Nullpunkt beginnen zu können. Nur Rosa von Praunheim macht alles etwas anders. Auch er beginnt mit Kürzestclips der heiligen drei Hoheiten (Andy Warhol, Jack Smith, Divine), um sich dann aber mit einer Reihe von Bekannten, Freunden und Darstellern seiner früheren Filme und deren Kindern zu treffen und sich, wie es seine weitschweifige Art ist, von Begegnungen und Anlässen treiben zu lassen. Gerade diese Methode, so eitel und selbstbezogen sie einem manchmal vorkommt, führt bei ihm ständig zu politischen Behauptungen, historischen Unterscheidungen und liefert so Material und Kontexte, auf die die Soundbite-Akkumulateure nie kämen. Der transsexuelle Sohn eines ehemaligen Kameramanns, der mit Gender-Aktivismus nichts zu tun haben will, sondern in neuen Gothic/Vampire-Subkulturen eine quasi genderpolitische, antikonformistische Heimat findet, oder die zwischen High-Society-Umgang und überaus realen ökonomischen Absturzängsten lebenden, ehemaligen Abenteurerinnen kriegen den Platz, den all die tollen, vollständig angetretenen Beteiligten in den anderen Filmen nicht haben.
Die haben zwar auch ihre Attraktionen – Chloe Sevigne als Stimme von Candy Darling oder die charmante Präsenz von Boys-Erfinder Mart Crowley, der der Welt auch „Hart aber herzlich“ geschenkt hat –, versäumen aber weitgehend die Chance, anhand von queerer Geschichte auch die Ansätze queerer Geschichtsschreibung zu mobilisieren: von der radikalen Kritik des heteronormativen Zukunftsbegriffs bei Lee Edelman bis zu der ausdrücklichen Verknüpfung von Trauer, aber eben auch Nostalgie mit Militanz bei Douglas Crimp und anderen. Stattdessen bleibt eher der Eindruck, dass hier gloriose Zeiten nur gefeiert werden können, weil sie vorbei sind und die viel beschworene Energie der seinerzeit jugendlichen Beteiligten heute niemanden mehr nervt oder bedroht.
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