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Archiv-Artikel

Düstere Lektion in Existenzphilosophie

Hier leidet der Chef selbst. Jean-Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ im Kölner Keller-Theater

Die Hölle als abgetakeltes Wartezimmer? Für sein 1944 erschienenes Stück “Geschlossene Gesellschaft“ hat Jean-Paul Sartre ein ungewöhnliches Setting gewählt – eine Hölle ohne Feuer und ohne Teufel. Auch ohne Grillroste, Marterpfähle und andere altmodische Folterinstrumente. Sartres Inferno gibt sich zahm, geradezu zivilisiert: Ein Salon im Stil der Gründerjahre, leicht überheizt. Die Tür verriegelt, keine Fenster, keine Spiegel und auch keine Betten, denn Tote kennen keinen Schlaf. Bei ständig brennendem Licht können die drei Sünder, die in diesem höllisch ungemütlichen Zimmer gemeinsam die Ewigkeit verbringen, nichts weiter tun als auf Stühlen sitzen und warten: Der Journalist Garcin, die Postangestellte Inès und die junge, verwöhnte Estelle. Doch warten worauf? Die drei passen so wenig zusammen wie die schäbigen Möbel, in denen sie wohnen, und genau das ist so gewollt. Denn bald stellt sich heraus: Im modernen Do-it-yourself-Inferno gibt es keine Folterknechte - die Insassen bereiten sich ihre Höllenqualen gegenseitig.

Mit „Geschlossene Gesellschaft“ eröffnete im Oktober 1955 das Kölner Theater der Keller. Jetzt feierte der Klassiker des Existentialismus unter der Regie von Wolfgang Lichtenstein erneut Premiere in der Südstadt. Ein Stück wie dieses, in dem jedes Wort für eine ganze Philosophie steht und jedes Requisit symbolische Bedeutung hat, lässt eigentlich kaum Spielraum für Experimente. Umso mehr Anerkennung verdient eine Inszenierung, die mit einigen Überraschungen aufwarten kann. Vor allem im Tonfall liegt das Ungewöhnliche. Er bleibt durchweg lakonisch, trocken, witzig, egal wie sehr sich die Figuren auch gegenseitig piesacken. Denn natürlich geht die Rechnung der unsichtbaren Höllenverwaltung auf: Gefangen in einem scheußlichen Raum, zusammengepfercht mit Leuten, die sie weder kennen noch mögen, schaffen es die drei Verdammten nicht, einander in Ruhe zu lassen. Gnadenlos zerren sie die Untaten des jeweils anderen ans Licht, halten ihrem Gegenüber die Gründe für die ewige Verdammnis vor: Die schmollmündige Estelle ist eine Kindsmörderin, die ihren Geliebten in den Tod trieb, die Lesbe Inès quälte ihre Freundin so lange, bis diese den Gashahn aufdrehte. Und Garcin, der Pazifist? Folgt man Sartres Weltanschauung, so ist er der schlimmste Verbrecher: ein Feigling, der kneift, wenn es darauf ankommt, ein heuchelnder Schöngeist, der Frieden predigt und seine Frau leiden lässt.

Eine düstere Lektion in Existenzphilosophie spannend und kurzweilig auf die Bühne zu bringen – hierin liegt das große Verdienst dieser Inszenierung. Lichtenstein kehrt das Komische im Plot heraus, ohne das die gedankliche Tiefe verloren geht. Er kühlt die im doppelten Sinn überhitzte Situation durch Klarheit in Mimik, Gestik und Intonation auf ein erträgliches Maß herunter, findet die goldene Mitte zwischen der Schwere der Thematik und einer angemessenen Leichtigkeit in der Präsentation. Seine Schauspieler helfen ihm dabei: Mit Theaterleiter Meinhard Zanger (Garcin) und seiner Frau Monika (Inès) stehen zwei „alte Hasen“ auf der Bühne, die ihre Sache sehr gut machen. Caroline Frier, Schwester der durch das Fernsehen bekannten Annette, debütierte überzeugend als Estelle. Und auch hier gab es eine Überraschung: Estelle ist nicht die affektierte Zicke, wie man sie aus anderen Produktionen des Sartre-Klassikers kennt. Bei Caroline Frier hat sie etwas von einer Hafenhure – grell, vulgär, mit einer Spur Selbstironie.

Insgesamt eine gelungene Inszenierung, die auf äußere Dramatik weitgehend verzichtet – zugunsten des inneren Dramas, um das es dem Autor ging: Die Schilderung einer Welt ohne verzeihenden Gott, in der sich jeder Mensch die eigene (Un-)Moral durch seine Handlungen selbst erschafft. Eine Welt, in der es keine Gnade gibt, sondern nur eine Umwelt, deren Blick wir „nackt wie die Würmer“ ausgeliefert sind. Eine Welt, in der die Hölle die Anderen sind und in der es nur eine Option gibt: Irgendwie weitermachen. Für immer.

HOLGER MÖHLMANN

20:00 Uhr, Theater der Keller, KölnInfos und Karten: 0221-318059