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Archiv-Artikel

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Nam June Paik ist tot. Der gebürtige Koreaner, der Deutschland 1993 auf der Biennale in Venedig vertrat, gehörte zu den Pionieren der Videokunst – spielerisch und hochironisch blieb er zeitlebens

Schock wurde seine Signatur – aber umspielt mit einem dadaistischen Lächeln

VON MARTIN ZEYN

Es hätte alles ganz einfach sein können, vielleicht hätte er sogar den Ansprüchen seiner Familie genügt. Nach einem Studium in Tokio, das Nam June Paik mit einer Arbeit über Arnold Schönberg abschloss, wechselte der 1932 in Seoul geborene Sohn eines Textil- und Stahlfabrikanten nach München und überlegte, dort eine Dissertation über Anton Webern zu schreiben. Als Hochschullehrer, der sich selbst nicht ganz ernst nimmt und schon früh über den „Zwölftonmanierismus“ geklagt hatte, wäre er sicher ein Star an jeder Akademie geworden.

Aber er entschied sich dann doch für ein Kompositionsstudium in Freiburg, von wo aus sein Lehrer Fortner ihn an das Studio für elektronische Musik beim WDR in Köln empfahl. Fortner schrieb denn auch die nachgerade prophetischen Worte: Paik sei eine „so extraordinäre Erscheinung“, dass er sich nicht für ihn zuständig fühle. Dem Kunstbetrieb ging es lange Zeit ähnlich mit dem Koreaner, der Musik als Performance verstand, Fernseher zu Skulpturen transformierte und sich schon bald für das damals noch obskure Medium Video begeisterte.

Den Wendepunkt brachte 1958 ein Zusammentreffen mit John Cage, dessen Überlegungen zur Unbestimmtheit in der Musik auch die weitere Arbeiten von Paik enorm beeinflussten. Allerdings schlug dieser einen deutlich aggressiveren Weg ein und griff direkt die westliche Aufführungspraxis und den daraus erwachsenden Fetischcharakter an: „Das Klavier ist ein Tabu. Es muss zerstört werden.“ Paik stieg während einer Aufführung von Stockhausens „Originale“ in ein Wasserbecken und warf Bohnen ins Publikum. Diese „action music“ brachte ihm den Titel eines „destruction artist“ ein. Doch der Schock geriet Paik schnell zur Signatur und wurde von ihm denn auch meist mit einem dadaistischen Lächeln umspielt.

Das prüde Amerika ließ sich 1967 dennoch zu einem Skandal hinreißen, auf den hatte es Paik allerdings abgesehen. „Why is sex prohibited only in music?“ stand auf dem New Yorker Ankündigungsplakat der „opéra sextronique“, das die Cellistin Charlotte Moorman nur in Unterwäsche zeigte. Polizeibeamte nahmen sie fest. Eigentlich hatte Paik das Musikmachen schon aufgegeben, „doch als ich sie kennen lernte, dachte ich mir, dass Musik niemals mit Sex gepaart worden war, und dass man sie paaren sollte.“ Aus dieser Paarung entstand unter anderem das Videoobjekt „TV Bra for Living Sculpture“, das aus zwei nur sieben Zentimeter kleinen Bildröhren in Plexiglasgehäusen bestand, die wie ein BH von Moorman getragen wurden. Auf einem entzückenden Foto sieht man Paik, wie er seine Arbeit – oder doch nur die Brüste von Moorman? – bewundert. Selbst seinen Sexismus nahm er nicht allzu ernst: In der Performance „26.1.1499 for a String Player“ kniet er vor Moorman, die auf einer an seinem Rücken befestigten Saite spielt.

Bekannter als seine Performances sind die Videoskulpturen. Schon 1963 hatte in der Wuppertaler Galerie Parnass die erste Einzelausstellung von Paik stattgefunden. Sie gilt heute als eine der Geburtsstunden der Videokunst. Paik stellte zwölf Fernsehapparate aus. Einer war beim Transport beschädigt worden, die Bildröhre projizierte nur noch einen schmalen horizontalen Streifen. Paik stellte den Fernseher auf den Kopf und gab der Arbeit den wunderbaren Titel „Zen for TV“. Zufall, ein minimaler Eingriff und großartige Titel – so lautete die Rezeptur für viele frühe Arbeiten.

Ab 1963 trieb Paik zwei Projekte voran: den Bau eines Roboters und die Möglichkeit der Beeinflussung des Fernsehbilds durch die Betrachter. Sein „Robot 456“ sah aus wie ein humanoider Fischer-Technik-Bausatz, für die technische Entwicklung war Shuya Abe verantwortlich, der einige Jahre später auch Paiks Farb-Synthesizer entwarf. Schließlich war Medienkunst schon damals Teamwork. Richtungsweisender wurden indes die Arbeiten zur Interaktion: Bei „Magnet TV“ von 1965 können Betrachter mithilfe eines Ringmagneten hübsche Ornamente auf der Bildröhre erzeugen. Statt selbst Bilder zu gestalten, nutzte Paik die Störanfälligkeit der Apparate aus. Wie viele andere Videokünstler arbeitete Paik auch an Closed-Circuit-Installationen. In seinem Vorgehen unterscheidet er sich aber grundlegend von Kollegen wie Les Levine, Dan Graham oder Bruce Nauman.

Paik war nicht explizit an der Offenlegung des Verfahrens interessiert, mit dem sich mediale Feedback-Schleifen erzeugen lassen; wie schon bei seinen Arbeiten mit Fernsehern zählte für ihn der skulpturale Aufbau. Für „Buddha TV“ hat Paik eine Buddha-Statue vor einen Monitor gesetzt: Eine Kamera nimmt den Kopf der Figur auf, sodass der Buddha sein Abbild auf dem Bildschirm betrachtet. Kritik an der westlichen Vereinnahmung östlicher Praktiken, ironische Darstellung des Medienkonsumenten, Verhohnepiepelung des Aufklärungspathos seiner Kollegen? „Schöne Fragen, wir wollen sie nicht mit einer Antwort versauen.“ Diesen Satz von Cage hat Paik in einer Performance zitiert und er beschreibt die spielerische und hochironische Indeterminiertheit seiner besten Arbeiten.

Leider lässt sich das nicht für alle Werke, vor allem nicht für das Spätwerk sagen. Die Collagetechnik und Bildbearbeitung seiner Videos hat David Ross wohlwollend mit „Overkill“ beschrieben. Das stimmt, aber ist es wirklich ein Lob? Wer die Videos heute anschaut – zuletzt etwa in der „Global-Groove“-Installation der Berliner Deutsche-Guggenheim-Ausstellung 2005 –, muss sich nicht selten ins Gedächtnis rufen, dass zu ihrer Entstehungszeit die Effekte extrem schwer herzustellen waren. Unmittelbar vermögen sie jedoch nicht mehr zu überzeugen.

Paik wird immer wieder „Vater der Videokunst“ genannt. Das ist falsch. Les Levine schuf die erste Closed-Circuit-Installation, und auch Wolf Vostell arbeitete zumindest zeitgleich an der technischen Manipulation von Bildröhren. Paik war selten der Erste, aber immer einer, der eine präzise, sinnfällige und – das ist besonders – von Anfang an ironische Herangehensweise in Sachen Medien pflegte. Das unterscheidet ihn angenehm von all den Machbarkeitsfanatikern, die den Medienkunstdiskurs immer noch dominieren. „When too perfect, lieber Gott böse!“, hat er einmal seine Abweichlerposition bestimmt. Am Samstag verstarb der „Ehren-Gast-Arbeiter“ Nam June Paik, der 1993 neben Hans Haacke Deutschland auf der Biennale in Venedig vertrat, im Alter von 73 Jahren. Der liebe Gott ist dem Meister des Imperfekten gewiss nicht böse.