: Ohrfeigen, Schläge, „Dummentüte“
Über meine Satellitenschüssel höre ich im Radio Multikulti, dass in Berlin Schulpersonal, Eltern und Schülervertreter einer Realschule bestimmt haben, dass auf dem Schulhof in der Pause nur Deutsch gesprochen werden darf.
Ich arbeite in Schweden als Schulleiter für den Muttersprachenunterricht für eingewanderte Schüler in der Stadt Örebro. Welche Kindheitserinnerungen weckt diese Nachricht aus dem Berlin des Jahres 2006 bei einigen meiner 70 Lehrer, die mehr als 30 verschiedene Sprachen repräsentieren?
Die Spanischlehrerin aus Barcelona erinnert sich mit Wut an die erniedrigenden Ohrfeigen, die sie während der Francodiktatur bekam, wenn ein Klassenkamerad der Lehrerin erzählte, dass sie auf dem Schulhof das verbotene Katalanisch, ihre Muttersprache, gesprochen hatte.
Aus dem Tur-Abdin-Gebiet in der Osttürkei kommende Lehrer, die eine vom Aramäischen abstammende Muttersprache haben, erzählen von „Spionen“, die sie oder Kurdisch sprechende Schulkameraden nach der Pause beim Lehrer anschwärzten, wenn sie vergessen hatten, nur das gebotene Türkisch zu sprechen. Sie bekamen dann Schläge auf Finger, Hintern oder Fußsohlen.
Mir ist auch erzählt worden, dass der Sami oder Tornedalsfinne, der vor fünfzig Jahren in Nordschweden als Minoritätenkind auf dem Schulhof seine dort verbotene Muttersprache benutzte, sich mit einer „Dummentüte“ auf dem Kopf zum Schämen in die Ecke des Klassenzimmers stellen musste.
Kinder wechseln in geeigneten Situationen spontan, freiwillig und selbstverständlich die Sprache, wenn sie in einer Umgebung aufwachsen, die Mehrsprachigkeit fördert, sie als etwas Positives und nicht etwas Ungeeignetes, für die Entwicklung Hinderliches und deshalb zu Verbietendes betrachtet. Ich befürchte, dass die Berliner Maßnahmen nicht nur unreflektierten Beifall und Nachahmung finden, sondern noch auf weitere Bereiche ausgeweitet werden.
JOACHIM MITTENDORFÖrebro, Schweden
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