: Der Kapitalvernichter
Bahnchef Hartmut Mehdorn hat mit seiner Börsengangstrategie das Unternehmen ruiniert. Jetzt hilft nur noch: Mehdorn entlassen und das Schienennetz verstaatlichen
Wolfegg im Allgäu ist ein beschaulicher Ort. Wenn es nach der Deutschen Bahn geht, wird es dort bald noch viel ruhiger werden. Am 17. Februar läuft die Frist für die Stilllegung der zwei Weichen und des Ausweichgleises im Bahnhof Wolfegg ab.
Die Allgäubahn ist eine eingleisige Strecke. Wenn die Ausweichmöglichkeit in Wolfegg entfällt, werden die Anschlüsse in Memmingen künftig immer verpasst: Trifft ein Zug aus Wolfegg in Memmingen ein, sind die Züge nach München und Ulm schon abgefahren. Ein „Unternehmen Zukunft“ würde dagegen alles daransetzen, die Anschlussmöglichkeit in Wolfegg zu erhalten, damit der Bahnverkehr im Allgäu attraktiv bleibt.
Dass die Deutsche Bahn (DB) dennoch so scharf auf die Stilllegung der Gleisanlagen ist, hat einen simplen bilanztechnischen Grund: Für die Kapitalrendite des Unternehmens DB AG ist ein höherer Gewinn genauso gut wie eine Verringerung des Anlagevermögens. Damit der Börsengang noch in seiner Amtszeit Realität wird, will Bahnchef Hartmut Mehdorn die Kapitalmarktfähigkeit mit aller Gewalt erzwingen – koste es die Eisenbahn, was es wolle. Und weil dem Bahnchef relativ wenig einfällt, um auf der Schiene die Fahrgastzahlen und die Einnahmen zu steigern, legt er still, was heute nicht zwingend gebraucht wird. Der Abbau von Gleisen hilft beim Börsengang.
Wolfegg ist nur eine Chiffre für die groß angelegte Vernichtung von Volksvermögen und die trüben Zukunftsperspektiven der Eisenbahn. In einem atemberaubenden Tempo, das sich der Fahrgast auch wünschen würde, werden seit einigen Jahren Weichen und Gleise abgebaut. Und das keineswegs nur auf wenig befahrenen Nebenstrecken, wo den verladenden Unternehmen die Anschlüsse in Serie gekündigt werden, sondern auch auf den Hauptbahnen.
So listet die Landesregierung von Baden-Württemberg allein auf den Haupteisenbahnstrecken 10 aktuell laufende oder geplante Maßnahmen zum Gleisrückbau mit erheblichen Einschränkungen der Streckenkapazität und der Betriebsqualität auf. Selbst vor dem Abbau des zweiten Gleises auf ganzen Streckenabschnitten schreckt die DB nicht zurück. Das hat man im Südwesten seit den Demontagen durch die Franzosen nicht mehr erlebt.
Den Rückbau von Überholungsgleisen zwischen Mannheim und Frankfurt musste kürzlich das Eisenbahnbundesamt untersagen. Von selbst wollte die DB Netz AG nicht einsehen, dass damit im Verspätungsfall gravierende Verschlechterungen verbunden wären, obwohl wegen des chronischen Engpasses zwischen Mannheim und Frankfurt eine neu ICE-Strecke in Planung ist.
Die planmäßige Zerstörung der Eisenbahninfrastruktur ist die Folge eines Konstruktionsfehlers der Bahnreform. Damals wurden Netz und Transport in eine gemeinsame Gesellschaft eingebracht. Der Effizienzdruck setzt deshalb genau am falschen Punkt an: Während der Monopolist Netz AG bis heute echten Wettbewerb auf dem Schienennetz verhindern konnte, wird die Infrastruktur betriebswirtschaftlichen Zwängen unterworfen und damit weggespart. Man stelle sich den Aufstand vor, wenn das Straßennetz in Deutschland plötzlich betriebswirtschaftlich gerechnet würde: Dann würde man nur Autobahnen, Bundesstraßen und einige viel befahrene Landesstraßen retten, während die meisten Gemeindeverbindungsstraßen geschlossen würden, weil sie sich nicht rechnen.
Zur Entfaltung des zerstörerischen Potenzials der Bahnreform brauchte es aber noch einen Bahnchef mit der Durchsetzungskraft und ideologischen Fixiertheit von Hartmut Mehdorn. Seit er den Bahnkonzern auf den Börsengang trimmt, schafft die DB es sogar, eine eisenbahnfreundliche Politik ins Gegenteil zu verkehren. In den letzten fünf Jahren von Rot-Grün gab die DB zum Jahresende stets einen dreistelligen Millionenbetrag an Bundesmitteln für das Netz zurück, weil sie angeblich nicht in der Lage war, das Geld zu verbauen – insgesamt mindestens 1,4 Milliarden Euro. Das Problem ist: Die Deutsche Bahn will die Bundesgelder gar nicht, weil sie einen kleinen Anteil an Eigenmitteln zur Kofinanzierung aufbieten muss. Dieses Geld investiert sie aber lieber in Lkw-Frachtzentren in Kasachstan, die schnell höhere Renditen abwerfen.
Wie sehr der Börsengang der Bahn die Entscheidungen des Unternehmens mittlerweile diktiert, wurde im Dezember einer größeren Öffentlichkeit vorgeführt. Damals erwog Mehdorn, den Unternehmenssitz nach Hamburg zu verlegen und dort die Hamburger Hochbahn und die Hamburger Hafen Logistik AG zu übernehmen. Das strategische Motiv des Bahnvorstands war klar: Die Hochbahn ist einer der wenigen ernsthaften Mitwettbewerber der DB im Personenverkehr in Norddeutschland, mit der Hafenbahn hätte die DB den vollen Zugriff auf den Güterverkehr an Deutschlands wichtigstem Umschlagbahnhof erhalten und konkurrierende Güterbahnen effektiv ausbremsen können.
Anders als das spektakuläre Scheitern dieses Plans blieb der Ausverkauf des Grundstücksvermögens der Bahn weitgehend unbemerkt. Im Jahr 2003 verkaufte Hartmut Mehdorn 1.800 Grundstücke mit 30 Millionen Quadratmeter Fläche in besten Innenstadtlagen an die Aurelis Real Estate GmbH. Bilanziell sichtbar ist die Transaktion nicht, Enron lässt grüßen. Aurelis presst seither die deutschen Kommunen aus wie Zitronen und verlangt horrende Bodenpreise, wenn sie sich umweltfreundlich im Stadtzentrum entwickeln wollen.
Die Bilanz der Ära Mehdorn ist verheerend. Der Verkehrsanteil der Bahn ist in den letzten zehn Jahren nicht gewachsen, im Nahverkehr betreiben die Regionalgesellschaften Selbstbedienung an den Landeshaushalten und streichen Monopolgewinne ein. Das Netz wird gestutzt, der Wettbewerb auf der Schiene verhindert, und die DB entwickelt sich dank staatlicher Garantien zum größten Straßenspediteur. Das alles geschieht im Zeichen des Fetischs Börsengang.
Die katastrophalen Ergebnisse erlauben nur eine vernünftige Konsequenz: Mehdorn entlassen und das Netz verstaatlichen. Infrastruktur bleibt eine Kernaufgabe des Staates, im Falle der Regionalnetze der Bahn am besten in der Verantwortung der Länder. Nur die ICE-Strecken sollten beim Bund bleiben. Wenn dann endlich Wettbewerb im Bahnverkehr einsetzt, können die DB-Transportgesellschaften bedenkenlos an die Börse gebracht werden, aber ohne das Netz.
Der Wechsel im Kanzleramt weckt da immerhin Hoffnung: Verkehrsminister Bodewig und seine Pläne zur Trennung von Netz und Transport konnte Hartmut Mehdorn noch mit einem Anruf bei seinem Duzfreund Gerhard Schröder abservieren. Angela Merkel sollte die Kraft haben, den verkehrs- wie haushaltspolitischen Wahnsinn „Börsengang“ abzublasen und der Eisenbahn eine neue Chance zu geben. Dann könnten künftig Bahnreisende das Alpenpanorama in Wolfegg wieder entspannt genießen. BORIS PALMER