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Archiv-Artikel

Schneller altersarm

VON ULRIKE WINKELMANN

Rentenminister Franz Müntefering (SPD) will die Rente mit 67 nicht nur schneller einführen. Er wird auch das Gesetz dazu früher machen, als im Koalitionsvertrag steht. Münteferings Sprecher Stefan Giffeler erklärte gestern, noch in diesem Jahr werde das Gesetzgebungsverfahren auf den Weg gebracht.

Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wir werden im Jahr 2007 die gesetzlichen Regelungen für eine 2012 beginnende Regelaltersgrenze auf 67 Jahre treffen. Sie soll […] schrittweise erfolgen und vollständig für den ersten Jahrgang bis spätestens 2035 abgeschlossen sein.“

Spätestens – dies ist nun Münteferings Wort. Denn mit seinem neuen Plan müssten nicht erst die Jahrgänge ab 1970 volle zwei Jahre länger arbeiten. Müntefering hat erklärt, die schrittweise Anhebung der Rentengrenze könnte auch in „18 oder 12 Jahren“ abgeschlossen und also 2029 oder 2023 beendet sein. Dann wären bereits die Jahrgänge 1964 oder gar 1958 mit dabei.

Diese besonders geburtenstarken Jahrgänge wären vom Vorziehen der Reform mehrfach betroffen. Denn sie gehören zur Generation, die von der Arbeitsmarktkrise voll erfasst ist, und längst nicht ausreichend privat vorsorgt. Nun soll sie auch noch länger arbeiten – oder Abschläge hinnehmen.

Für diese „Baby-Boomer“ wird es also darauf ankommen, wie sich in den kommenden zwei Jahrzehnten der Arbeitsmarkt für Ältere entwickelt. Gegenwärtig stehen die Chancen für Ältere besonders schlecht. Um nicht jahrelang von Arbeitslosengeld II (345 Euro im Monat) leben zu müssen, nehmen viele Arbeitslose eine Frührente mit Abschlägen von 3,6 Prozent pro Jahr in Kauf. Wer drei Jahre früher in Rente geht, bekommt also den Rest seines Lebens 10,8 Prozent weniger Rente. Da das Durchschnitts-Rentenniveau gesetzlich bis 2020 weiter sinken soll, dürften sich solche Rentner mit ihrer Abschlagsrente umso näher am ALG-II-Satz wiederfinden – wenn der nicht mitsinkt.

Die beschleunigte Rente mit 67 wird so den Trend zur Armutsrente noch verstärken. Rentenexperten rechnen längst damit, dass es bald wieder einen beträchtlichen Prozentsatz an Altersarmut geben wird. Gert Wagner, Forschungsdirektor beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, erklärt: „Vielleicht hilft ein Vergleich mit den USA.“ Dort, so Wagner, sei rund ein Drittel der Rentner durch private Vorsorge und Betriebsrenten sehr gut versorgt. Ein weiteres Drittel habe geringe Betriebsrenten und sei „hinnehmbar versorgt“. Das letzte Drittel habe nur Social Security und „ist in der Tat armutsgefährdet bzw. arm, da ab einem gewissen Lebensalter auch Nebentätigkeiten nicht mehr möglich sind“.

Wie es gestern aus SPD-Fraktionskreisen hieß, habe Müntefering auch seine eigenen Truppen mit seinem Vorstoß überrascht. Der Widerstand bei den Sozialdemokraten blieb dennoch gering. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil erklärte bloß auffällig zurückhaltend: Müntefering habe das Recht, sich „im Rahmen seiner Ressortverantwortung“ zu äußern.

Voraussichtlich am Donnerstag soll der Spätrentenbeschleunigungsplan im Koalitionsausschuss mit CDU und CSU beraten werden. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) blieb gestern vage: „Das ist ein offener Prozess.“ Das Rentenalter könne nicht erhöht werden, wenn die Hälfte der Betriebe keine Mitarbeiter über 50 Jahre mehr beschäftige. Zum Vorwurf seines CSU-Vizes Horst Seehofer, Müntefering halte sich nicht an die Vereinbarungen von Union und SPD, erklärte Stoiber: „Wir wollen natürlich auch den Koalitionsvertrag nicht als eine Bibel nehmen.“