: Erdogan sieht „Terroristen“
TÜRKEI Regierungschef hält an Bauprojekt im Gezi-Park fest und rückt Protestteilnehmer in die Nähe des „Terrorismus“. Lynchstimmung in Rize
TUNIS/ISTANBUL taz/afp/rtr/ap | Trotz der starken Proteste will der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan an dem umstrittenen Bauprojekt in Istanbul festhalten. Er werde die Umgestaltung des Gezi-Parks vorantreiben, sagte Erdogan am Donnerstag in der tunesischen Hauptstadt Tunis laut einer arabischen Übersetzung seiner Äußerungen. Er rückte dabei einen Teil der Protestteilnehmer in die Nähe des „Terrorismus“. Seine Äußerungen dürften die Proteste anheizen.
Vor der noch für Donnerstag geplanten Rückkehr Erdogans in die Türkei kam es erneut zu Ausschreitungen. Hunderte Demonstranten warfen in der Nacht zu Donnerstag in Ankara Steine auf Polizisten, die mit Tränengaseinsatz reagierten. In der östlichen Provinz Tunceli errichteten Hunderte Regierungskritiker eine Straßenbarrikade gegen Beamte, die Wasserwerfer einsetzten. In Istanbul, wo es in den letzten Tagen zu den heftigsten Zusammenstößen gekommen war, blieb es vergleichsweise ruhig. Die Demonstranten harrten auf dem zentralen Taksim-Platz in einem Protestcamp aus.
Der Vizechef von Erdogans AKP-Partei, Hüseyin Celik, rief Parteimitglieder dazu auf, davon abzusehen, Erdogan am Flughafen in Empfang zu nehmen, weil dies die gereizte Stimmung weiter anheizen könnte. Zu den Demonstranten sagte er beschwichtigend, die Regierung habe Verständnis für die Befürchtungen säkular ausgerichteter Türken und sei bereit, ihnen die Ängste zunehmen.
Am Donnerstag starb in Adana ein Polizist, der in der Nacht zuvor beim Einsatz gegen Demonstranten in eine im Bau befindliche Unterführung gestürzt war. Damit stieg die Zahl der Todesopfer der Proteste auf drei. Zwei Demonstranten kamen bisher ums Leben, ein weitere Person wird im Krankenhaus künstlich am Leben erhalten. Laut der Türkischen Menschenrechtsstiftung wurden bisher 4.300 Menschen verletzt.
Am Donnerstagnachmittag wurden in der Stadt Rize im Nordosten 30 junge Leute, die in einem Park gegen die Polizeigewalt in Istanbul protestieren wollten, von einer anderen Gruppe attackiert. Die Jungen flüchteten in ein Bürohaus. Die inzwischen auf 600 Personen angewachsene Menge umzingelte das Gebäude, warf Steine und skandierte: „Hier ist Rize, hier gibt es keinen Ausweg.“ Die Menge verhinderte, dass eine Demonstrantin, die das Bewusstsein verloren hatte, ins Krankenhaus gebracht werden konnte. Die Eingeschlossenen sprachen von Lynchstimmung. Die Polizei konnte mit einem halbherzigen Tränengaseinsatz die Menge nicht auseinandertreiben. Immerhin versuchten der AKP-Bürgermeister und der Polizeipräsident der Stadt, die Menge zu beruhigen. Erst nach drei Stunden konnten die Eingeschlossen unter Polizeischutz aus dem Gebäude gebracht werden.