: Der Mob macht’s
PREISRICHTER Kein Olympia ohne Wertungsskandal: Die Australier sehen ihren Buckelpistenfahrer benachteiligt
AUS VANCOUVER MARKUS VÖLKER
Gegen das Wetter ist kein Kraut gewachsen. Wenn’s mitten im Biathlon-Wettkampf anfängt zu regnen, dann ist nichts mehr zu machen. Die Athleten sind dann Opfer äußerer Umstände. Mit Naturgewalten, genauer gesagt, mit Preisrichtern kennen sich aber auch Eiskunstläufer wie die russische Goldhoffnung Jewgeni Pluschenko oder Buckelpistenfahrer sehr gut aus. Die Juroren sind die grauen Eminenzen des Wintersports. Es heißt, sie seien unabhängig und neutral, aber wie die olympische Geschichte zeigt, sind auch sie nur Menschen. 2002 haben sie für einen handfesten Skandal gesorgt. Die Spiele von Salt Lake wurden überschattet vom Skategate.
Jetzt gibt es in Vancouver die ersten Diskussionen über die Leistungen von Preisrichtern. Der australische Offizielle Geoff Lipshut hat sich über die Bewertungen im Buckelpisten-Event beschwert. Die Kanadier seien begünstigt, der für Australien startende Dale Begg-Smith, Zweitplatzierter hinter Alexandre Bilodeau, sei dagegen übervorteilt worden. Es sei doch sehr merkwürdig, meinte Lipshut, dass der kanadische Olympiasieger Alexandre Bilodeau für seine Schwünge zum Teil 4,9-Wertungen bekommen habe. „Meiner Meinung nach hat er so einen Score gar nicht drauf, wenn man bedenkt, dass fünf das Optimum darstellen.“
Die Leistungen auf der Buckelpiste werden doppelt subjektiv bewertet. Begutachtet werden Schwünge und Sprünge. Die Punktvergabe erscheint willkürlich und beeinflusst von der Stimmung auf den Rängen. Dort tobte der kanadische Mob. Bei den besten Ritten über die Buckelpiste hätte nur ein Supervisor mit übermenschlichen Fähigkeiten Unterschiede erkennen können. Wichtig bei der Medaillenvergabe sind eher die Vorleistungen bei Weltcups und Weltmeisterschaften, die Reputation des Athleten – und nicht zuletzt der Veranstaltungsort.
Objektive Urteile sind ohnehin illusorisch. Wer wüsste das besser als die Eiskunstläufer. Die Fangemeinde dürfte froh gewesen sein, dass der Paarlauf-Wettbewerb in Vancouver rein sportlich entschieden worden ist. Das deutsche Paar Sawtschenko/Szolkowy patzte in der Kür. Aber was passiert, wenn es wieder kaum unterscheidbare Höchstleistungen gibt? Dann richtet sich der Blick auf die Preisrichter.
In Salt Lake City wurden Absprachen unter den Preisrichtern nachgewiesen. Das führte dazu, dass das benachteiligte kanadische Paar Salé/Pelletier nachträglich Gold verliehen wurde – zusammen mit den russischen Siegern Bereschnaja/Sicharulidse. Nach dem Skandal wurde das Wertungssystem verändert. Szenekenner sagen, man habe den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, weil das neue System ein Ausbund an Intransparenz sei. Auch etliche Athleten gehören zu den Skeptikern wie der Russe Jewgeni Pluschenko. Man braucht einen mehrtägigen Intensivkurs, um das aktuelle Bewertungssystem, den „Code of Points“ (CoP), zu verstehen. Fakt ist, dass die Juroren auch hier ein weites Feld der Manipulation bestellen. Der internationale Eiskunstlaufverband ISU hat ein System geschaffen, das keinen Deut besser ist als das alte.
Vor allem lassen sich die Juroren nicht per Ukas zur Unabhängigkeit verpflichten. So hat der Preisrichter Jon Inman an seine Kollegen eine E-Mail geschrieben, in der er die „Transitions“ von Pluschenko, das heißt dessen Übergänge zwischen den Höchstschwierigkeiten, kritisiert. Das ist wohl eine Retourkutsche, weil sich der Russe bei der EM in Tallinn über die Wertungen beschwert hatte. „Wenn die Preisrichter jemanden nach vorn bringen wollen, dann können sie das. In Tallinn hat Brian Joubert viel mehr Punkte für seine Übergänge bekommen als ich, obwohl wir auf dem Eis genau dasselbe gezeigt haben“, schimpfte Pluschenko.
Der Kanadier Richard Pound, früher IOC-Vizepräsident und Chef der Welt-Antidoping-Agentur, sieht im Eiskunstlaufen einen „Albtraumsport“. Dass anonym gewertet werde und dass die Punktrichter von den Landesverbänden entsandt würden, fördere Schummeleien, sagt er. Pluschenko, 28, hat die Übergänge Dienstagnacht im Kurzprogramm übrigens ganz gut hinbekommen, das wurde aber wieder nicht honoriert. Er bekam für diesen Teil nur 6,8 von maximal 10 Punkten. Der Olympiasieger von Turin liegt dennoch vor der Kür am Donnerstag auf Platz 1.