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Archiv-Artikel

Geordneter Rückzug

EILE Die CDU sieht zu, dass sie das lästige Thema der Gleichstellung Homosexueller vom Tisch bekommt, die Opposition drängt

Recht und Gesetz

■ Antrag stellen: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gilt rückwirkend für alle eingetragenen Paare seit 2001. Selbst wenn nach dem Urteil noch das Einkommensteuerrecht geändert werden muss, sollten Paare ihre Rechte gleich geltend machen. Der Lesben- und Schwulenverband rät, beim zuständigen Finanzamt den Vollzug der Vollstreckung des Urteils zu beantragen. Informationen gibt es auf www.lsvd.de.

■ Antrag unnötig: Andere europäische Länder haben gleich eine vollständige Gleichstellung von Lesben und Schwulen im Gesetz vorgesehen. Spanien hat 2005 einfach den Eherechtsparagrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch erweitert, sodass alle Menschen heiraten können. Welches Geschlecht sie haben, ist dem spanischen Staat egal. Damit können spanische Lesben und Schwule heiraten und ihre Verbindung heißt Ehe. Sie haben dieselben Steuerrechte wie alle anderen Verheirateten und dürfen selbstverständlich Kinder adoptieren – ebenso wie alle anderen Spanier auch.

■ Liberal: Ebenso liberal sind in Europa die Niederlande, Schweden, Norwegen, Dänemark, Belgien, Großbritannien, die Schweiz und seit Kurzem auch Frankreich. Die Bürger brauchen in diesen Ländern ihre Grundrechte nicht einzuklagen. Anträge erübrigen sich. (ufo)

AUS BERLIN ULRICH SCHULTE

An Tagen, an denen viele reden, ist besonders interessant, wer schweigt. Um 9.10 Uhr am Donnerstag lief die erste Eilmeldung über die Ticker, dass das Verfassungsgericht Homosexuelle beim Ehegattensplitting gleichstellt. Doch niemand aus dem engeren Führungszirkel der CDU äußerte sich. Weder Generalsekretär Hermann Gröhe noch Fraktionschef Volker Kauder gab ein Statement ab.

Ihr Schweigen sagt einiges über die Zwangslage der CDU. Gröhe muss in Kürze einen radikalen Richtungswechsel der Partei verkaufen, Kauder den Richterspruch im Parlament zusammen mit der CSU gesichtswahrend umsetzen. Denn die Vorgabe aus Karlsruhe ist nicht nur ein wichtiger Schritt zu einer liberaleren Republik. Er ist auch eine herbe Klatsche für die größte Volkspartei Deutschlands.

Die Richter erklärten die offizielle Linie der CDU für verfassungswidrig. Noch im Dezember hatte ein Bundesparteitag in Hannover beschlossen, schwulen und lesbischen Paaren nicht die gleichen Vorteile bei der Einkommensteuer zu gewähren wie heterosexuellen. Jetzt zwingt Karlsruhe die CDU, diese Position zu räumen und das Gesetz zu ändern.

Bleibt die Frage, wann sich die Partei dazu durchringt. Ändert sie die Gesetzeslage noch vor der Sommerpause? Oder erst nach der Landtagswahl in Bayern am 22. September? Kauder lud für Freitagmorgen zu einer Sondersitzung der Fraktion ein. Dann will er ein Meinungsbild der Abgeordneten einholen. Dies wurde in der Fraktion als Signal gedeutet, dass er den Schwenk schnell einleiten will.

Kristina Schröder: „Ich finde das gut“

Wichtig werde sein, wie sich die CSU positioniere, hieß es. Die Bayern haben sich vehement gegen die Gleichstellung gestemmt, weil sie fürchten, konservative Milieus zu verprellen. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt ließ gestern die Frage des Zeitpunkts offen, machte aber klar: „Das Urteil aus Karlsruhe wird vom Gesetzgeber umgesetzt werden.“ Allein der stockkonservative Abgeordnete Norbert Geis motzte noch. So sieht ein geordneter Rückzug aus.

In der großen Schwesterpartei hatten die Befürworter der Gleichstellung Oberwasser. Und drängten auf eine schnelle Umsetzung. Familienministerin Kristina Schröder twitterte euphorisch: „Ich finde das gut.“ Der CDU-Abgeordnete Jan-Marco Luczak sagte: „Jetzt gilt es, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen und das Urteil unverzüglich umzusetzen.“ Bis zur Sommerpause gebe es noch zwei Sitzungswochen, das sei ausreichend Zeit, so Luczak. „Ich sehe keinen Bedarf dafür, jetzt weiter abzuwarten und zu prüfen.“ Alle Argumente seien ausgetauscht und ausdiskutiert.

Ähnlich äußerte sich Jens Spahn, der Gesundheitsexperte der Fraktion: „Das Urteil ist ein tolles Signal für Ehen und Lebenspartnerschaften. Die Koalition sollte es zügig umsetzen.“

Umsetzung vor der Wahl?

Beide gehören zu den „Wilden 13“, einer Gruppe von Unions-Parlamentariern, die sich im Sommer 2012 für eine Gleichstellung starkgemacht hatte. Sie kämpften auch auf dem Parteitag für ihre Position, unterlagen aber in der Abstimmung knapp.

Einiges spricht dafür, dass sich ihr Wunsch nach einer flotten Umsetzung durchsetzt. Die CDU-Spitze um Kanzlerin Angela Merkel will das nun höchstrichterlich geklärte Thema vor der heißen Wahlkampfphase im September abräumen, um der Opposition ein Mobilisierungsthema zu nehmen. Kauder hatte mit Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer bereits Ende Februar einen entsprechenden Versuch gestartet. Die beiden wurden von einer wichtigen konservativen Stimme unterstützt. Finanzminister Wolfgang Schäuble bekannte sich offen, seine Meinung geändert zu haben, und plädierte für die Gleichstellung. Die Initiative des Trios war aber von der CSU torpediert worden.

Doch nun nach dem Richterspruch sieht die Lage anders aus. Selbst CSU-Abgeordnete werden sich gut überlegen, ob sie bei einer Abstimmung im Bundestag ernsthaft gegen die Position Karlsruhes stimmen werden. Rechtstreue ist ein starkes Argument in konservativen Kreisen.

Zudem steht den letzten Zögerlichen eine überwältigende Mehrheit gegenüber. Der Koalitionspartner FDP plädiert ebenso für die Gleichstellung wie die versammelte Opposition aus SPD, Grünen und Linkspartei. Eine schnelle Gesetzesänderung wäre problemlos bis zum 28. Juni, dem letzten Sitzungstag vor dem Sommer, machbar.

Die Opposition bemühte sich, den Eindruck zu erwecken, die Koalition zu treiben. SPD und Grüne beantragten, am Freitag über einen vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrats zu debattieren. „Wir wollen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ohne Verzögerung umsetzen“, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Sein Grünen-Kollege Volker Beck assistierte: „Mit der homophoben Diskriminierung muss jetzt Schluss sein.“