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Archiv-Artikel

Streit um Wiener Hochbunker

NS-HINTERLASSENSCHAFT Acht Flakturmpaare wurden im Krieg in Wien, Berlin und Hamburg errichtet

Ein Denkmal monumentaler Scheußlichkeit steht da in Wiens Arenbergpark. Bunte Graffiti, die Geschlechtsteile darstellen oder an die vor zehn Jahren angetretene FPÖ-ÖVP-Regierung erinnern, zieren den Eingangsbereich. Hinter den winterlich entlaubten Efeuranken über der Tür ist eine verblasste Aufschrift zu erahnen: „Zutritt nur für Wehrmacht in Uniform“. Der Flakturm, ein zementenes Bollwerk der letzten Kriegsjahre, ist wie nach einem 65-jährigen Dornröschenschlaf weitgehend original erhalten. Das könnte sich bald ändern, wenn die Stadt Wien das Monstrum an ein Datencenter vermietet.

Gegen diese Pläne formiert sich jetzt Widerstand aus Politik und Wissenschaft. Ute Bauer, die sich seit Jahren mit der Architekturgeschichte der Wiener Flaktürme befasst und ein Buch darüber publiziert hat, weist darauf hin, dass fünf der sechs Türme unter Denkmalschutz stehen: „Denkmalschutz betrifft nicht nur die Fassade.“ Auch das Innere müsse erhalten bleiben. Der mit 39 Meter Höhe kleinere von zwei Türmen im Arenbergpark sei der einzige, dessen Inneres sich noch weitgehend im Originalzustand befinde. Nicht nur die Schilder, die in die Luftschutzräume weisen, die engen Treppen und die Rampe der Flakbatterien gelte es zu erhalten. In einigen Räumen sind auch noch Graffiti der Zwangsarbeiter sichtbar, die den Turm 1942/43 errichteten. Den Wunsch „Milano e poi morire“ – „Mailand und dann sterben“ – hat wohl einer der italienischen Kriegsgefangenen hinterlassen. Aber auch Russen und Franzosen, die hier schuften mussten, konnten sich heimlich verewigen. Ute Bauer fürchtet, dass diese Zeugnisse der NS-Zwangsarbeit unwiederbringlich verloren gingen, wenn hier ein Betrieb einzöge: „Allein um die baupolizeilichen Auflagen zu erfüllen, müssten sie grobe Veränderungen vornehmen.“

Heidemarie Uhl von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften weiß, dass die Bunker nicht in erster Linie dem Luftschutz galten. Es gab Pläne, sie nach dem Krieg in Heldendenkmäler umzugestalten. Bei den Verantwortlichen vermisst sie ein Bewusstsein für die Bedeutung dieser Bauten: „Das ist ein Gedenkort mit europäischer Dimension.“ Nur in Hamburg und Berlin gibt und gab es ähnliche Türme. Die wurden entweder nach dem Krieg abgetragen, oder für kommerzielle Nutzung umgestaltet. Die Stadt Wien wolle zwar wenig Miete verlangen, würde sich aber die Erhaltungskosten ersparen, wenn Private einzögen.

Die Wissenschaftlerinnen fanden politische Unterstützung bei den Wiener Grünen, die im Rathaus Näheres über die Nutzungspläne herauszufinden und eine öffentliche Diskussion über den Umgang mit dem NS-Erbe anzustoßen versuchten. Seit 2002 schlummere eine Studie der Stadt Wien in einer Beamtenschublade, klagt Planungssprecherin Sabine Gretner. Keine Gedenktafel erinnere an Charakter und Zweck der Türme, die paarweise im Dreieck über Wien verteilt stehen. Ute Bauer weist darauf hin, dass der Luftschutz nur ein Nebenaspekt gewesen sei. Die Bunker hätten in erster Linie kriegswichtige Betriebe beherbergt, militärstrategisch seien sie ohne Bedeutung gewesen, denn die Geschütze hätten auch auf Dächern aufgestellt werden können. Die insgesamt 60 Flakbatterien konnten nur drei Prozent Treffer melden. In den letzten Kriegswochen wurden die 16- und 17-jährigen als Flakhelfer eingezogen. Im Arenbergturm, so geht aus den Archiven hervor, musste der spätere Schauspieler und Kabarettist Helmut Qualtinger Dienst tun.

Den Aktivistinnen schwebt eine Gedenkstätte mit Führungen vor. „Das wäre ein deutliches Signal, gerade wenn Parteien, die an der NS-Wiederbetätigung kratzen, verstärkt Zulauf bekommen“, glaubt Heidemarie Uhl. Der Architekt Jan Tabor warnt allerdings vor dem Beispiel des Bunkers im Berliner Humboldthain, wo Führungen „mit Gruselfaktor“ das falsche Publikum anzögen: „So wollen wir’s nicht“.

RALF LEONHARD