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Stirbt der linke Buchladen?

■ betr.: „Die linke Szene ist geschrumpft“, taz.nord vom 1. 6. 13

Der Charme dieser Kollektive, die Strukturen der linken Szene atmen, besteht zum großen Teil aus Selbstausbeutung von unbezahlten Überstunden, teilweise nicht einmal Tariflöhnen und wenn es ganz putzig wird (habe ich selbst vor Zeiten getan) selbst verordnete Lohnkürzung, um den Laden neben Spendenaufrufen am Leben zu halten. Bei jedem anderen Geschäft wie diese Woche zu lesen (Denn’s im Bereich Lebensmittel) kommt das Ausbeuter-Argument. Bei Buchläden und ähnlichem wird die Ideologie über die Arbeitnehmerrechte gestellt, erwartet und massiv eingefordert zur Not mit Boykottaufrufen. Die Schwierigkeiten der Läden liegen nicht am Schrumpfen der Szene sondern auch an den Erwartungen, die man ans Auswählen hat. Das „blaue Buch“, das ich scheinbar zufällig finde, wenn ich mich umdrehe, steht da gar nicht zufällig. Der Buchhändler oder auch ideologisch Aktive, der angelernt dort tätig ist, hat dieses Buch ausgewählt. Diese Auswahl wollen viele Menschen auch links nicht mehr treffen und lassen sich eher auf die Recherchemöglichkeiten der Onlinekataloge ein. Und dann gibt es auch links mittlerweile E-Books, gerade wenn man nicht auf die deutsche Sprache allein angewiesen ist oder wissenschaftlich arbeitet. Wieso soll ein Mensch, der auch nur seinen Blick schweifen lässt, für mich vorauswählen, wenn ich heute mit gleichen Mitteln online diese Auswahl zu treffen in der Lage bin? Das lässt sich kaum mehr vermitteln und ergibt, wenn man sich mit Recherche und dem Fachgebiet auskennt, auch keinen Sinn. Als Treffpunkt mögen die „Buchläden“ für Papier-Flyer nett sein. Da aber auch für Linke die Zeit nicht stehen blieb, wird auch hier mittlerweile online vernetzt, diskutiert, betrachtet, als dass die Zettelwirtschaft noch vorteilhaft sein könnte. Was also soll ein solcher Ort? Schlechte Arbeitsbedingungen, fragwürdige Vorauswahl, eingeschränkte Informationsmöglichkeiten – das hat sich tatsächlich überlebt. CHRIS, taz.de

■ betr.: „Die linke Szene ist geschrumpft“, taz.nord vom 1. 6. 13

Zitat: „Das ist die Kröte des Selbstwiderspruchs, die man immer schlucken muss, wenn man ein linkes Projekt macht: dass man gleichzeitig auch ökonomisch funktionieren muss.“ Sehr gute Einsicht, gewonnen nicht aus linker Literatur sondern aus der Realität. Die Welt außerhalb von linken Buchläden muss nun einmal ökonomisch funktionieren. Warum versucht Ihr also immer noch, den Rest der Welt als linkes Projekt zu organisieren? PS: Zahlt Ihr (auch taz) eigentlich den linken Mindestlohn? MEIER3, taz.de

■ betr.: „Die linke Szene ist geschrumpft“, taz.nord vom 1. 6. 13

Vielleicht sind sie muffig und sperrmüllhaft möbliert, die letzten (linken) Buchläden, vielleicht sind sie stets genervt und schlecht gelaunt, die Buchhändler, vielleicht ist das alles ein bisschen von gestern, vielleicht geht’s bei McDonalds alles ein bisschen schneller (bei Amazon jedenfalls nicht), vielleicht wäre die Serie Black Books ohne das alles gar nicht witzig. Aber sicher ist, wenn wir diese Buchläden sterben lassen, kriegen wir sie niemals mehr zurück.HARRY GELB, taz.de

■ betr.: „Die linke Szene ist geschrumpft“, taz.nord vom 1. 6. 13

Was hier in mehreren Kommentaren als „Ideologie“ verdammt wird, nenne ich „Sortiment“. Ja, das blaue Buch liegt nicht zufällig da im Regal, sondern weil ein Buchhändler oder eine Buchhändlerin es dorthin getan hat. Und im besten Fall hat sie sich Gedanken dazu gemacht, warum sie dieses Buch einkauft und ein anderes nicht. Ich kenne „meine“ Buchläden, weiß die inhaltliche und politische Ausrichtung (die natürlich an den Rändern immer ausfranst) ungefähr einzuschätzen und lasse mich gerade deswegen gerne durchs Sortiment treiben, weil hier nicht einfach unterschiedslos das VLB abgebildet ist, sondern jemand mit persönlichem Geschmack, politischer Haltung und Kenntnis seiner Kundinnen ein Programm „kuratiert“ hat. Von einer guten Buchhandlung erwarte ich nicht unbegründete Breite, sondern Tiefe. BUCHHANDELSKUNDIN, taz.de

■ betr.: „Die linke Szene ist geschrumpft“, taz.nord vom 1. 6. 13

„Womöglich ist eine ästhetische Distinktion heute wichtiger als eine inhaltliche. Also, dass man sich einem Laden eher zugehörig fühlt, wenn da die eigene Musik läuft und Literatur empfohlen wird, die cool ist. Das ist wichtiger, als dass jemand hinter dem Tresen steht, der sich wahnsinnig gut mit Trotzkismus auskennt.“ Das ist, mit Verlaub, Quatsch. Ich war hoch erfreut, als Elke, eine belesene, linke Hamburger Buchhändlerin, noch ein Exemplar von Wassili Grossmanns „Leben und Schicksal“ in einem überfrauhohen Regal fand. Das war ein schöner Moment. Das Buch ist für mich sehr wichtig, weil in ihm bei aller Schonungslosigkeit der Kritik am Lagersystem zu Zeiten Stalins in der parallel geschilderten Darstellung des nationalsozialistischen Deutschlands, seines eliminatorischen Antisemitismus, seines Ziels der Vernichtung der RotarmistInnen und Verfolgten im KZ-System deutlich wird, warum eben diese Verbrechen welche gegen die Menschheit sind – die Singularität von Auschwitz. Bei der Suche nach Büchern hierzu hilft kein Kommerzversand.THEOBALD TIGER, taz.de

Die LeserInnen auf taz.de diskutierten in dieser Woche vor allem über das Schwerpunkt-Thema unserer Wochenend-Ausgabe: Was wird aus den linken Buchläden? Brauchen wir sie überhaupt noch? Die bevorstehende Schließung des Bremer Anares-Buchvertriebs hatten wir zum Anlass genommen, den linken Buchladen als Ort der Sozialisation zu betrachten. Mit Anares-Betreiber Gerald Grüneklee machten wir einen Abschieds-Rundgang durch sein sich allmählich leerendes Lager. Am Jahresende ist Schluss. Ausgewählten linken Buchläden im Norden statteten wir mal wieder einen Besuch ab. Die Verlags-Vertreterin Judith Heckel zeichnete ein düsteres Bild: Von den linken Verlagen gehe es nur Nautilus gut – allerdings nicht wegen linker Literatur, sondern wegen der extrem erfolgreichen Krimis. Für die Buchläden werde es vor allem in den kleineren Städten und auf dem Land eng, wenn sie ihr Sortiment nicht verbreiterten. Wenn sie verschwänden, gingen auch alternative Kollektiv-Strukturen und Veranstaltungsorte verloren.

Der Potsdamer Politologe Uwe Sonnenberg zeichnete das goldene Zeitalter des „Verbands des linken Buchhandels“ in den siebziger und achtziger Jahren nach.