: PRESS-SCHLAGDas Prinzip Risiko
Es war eine Traumabfahrt. Sauschwer war sie. Spektakulär. Nicht nur die Fernsehzuschauer hatten etwas davon. Auch die Zuschauer im Zielraum sind auf ihre Kosten gekommen. Von da aus konnten sie sehen, wie es die Schwedin Anja Pärson regelrecht zerbröselte. Kurz darauf stand sie wieder auf ihren eigenen Beinen. Und gestorben ist auch keine. Es war ein großer Tag für den Abfahrtssport.
Dass nach den zahlreichen Stürzen jetzt wieder eine Sicherheitsdebatte geführt wird, kann den Verantwortlichen des Internationalen Skiverbandes nur recht sein. Abfahren ist gefährlich. Deshalb vor allem haben die Downhill-Racer so viele Fans. Die alpinen Männer dürften vor Neid erblasst sein beim Betrachten der Bilder vom Frauenrennen. Sie haben aus Whistler vergleichsweise langweilige Bilder geliefert. „Es fehlt der Teil, wo du dir sagst: Du gehst raus und musst zum Sterben bereit sein“, hat der italienische Abfahrer Werner Heel nach einem Trainingslauf gesagt.
Das war ein paar Stunden, bevor der Georgier Nodar Kumaritaschwili in den Tod gerodelt ist. Die Trauer in der Schlittensportszene war sicher ehrlich. Und doch wird man es dankbar zur Kenntnis genommen haben, dass endlich angekommen ist in der Welt, was es eigentlich bedeutet, auf einem Rennschlitten einen Eiskanal runterzurasen. Mit dem Tod Kumaritaschwilis ist das Rennrodeln geadelt und in den Kreis der anerkannten Risikosportarten aufgenommen worden. Es ist ein Spektakel.
Auch dem Turnen hat ein Horrorunfall zu neuer Popularität verholfen. Die urdeutsche Disziplin war beinahe zu einer Randsportart verkümmert, bis 2004 der Cottbusser Ronny Ziesmer nach einem Trainingssprung mit dem Kopf auf der Matte aufschlug. Seitdem ist Ziesmer querschnittsgelähmt und das Turnen wieder populär bei den Sportfans. Das Reck rockt.
Am Wochenende fahren die Zweierbobpiloten um olympisches Gold. Dass dieser Sport alles andere ist als eine Art beschleunigtes Seifenkistenrennen auf Eis, beweisen die acht Trainingsstürze am Mittwoch in Whistler. Einige der besten Piloten konnten nicht verhindern, dass ihr Bob umkippt, und haben damit regelrecht Reklame gemacht für ihr Event. Das ist das Prinzip aller Risikosportarten: Hinschauen, es könnte etwas passieren! ANDREAS RÜTTENAUER