: Mit Brille und Regenschirm gegen den Frankfurter Polizeikessel
PROTEST Eine Woche nach den Polizeiübergriffen demonstrieren mehr als 6.000 Menschen. Im Fokus der Kritik: Hessens Innenminister Boris Rhein
EINE POLIZEISPRECHERIN
FRANKFURT AM MAIN taz | Unter dem Motto „Wir waren friedlich, was wart ihr?“ gingen bei strahlendem Sonnenschein und schwülen Temperaturen am Samstag in Frankfurt am Main wesentlich mehr Menschen gegen Polizeigewalt auf die Straße als von allen Beteiligten erwartet. Zuvor war offiziell mit 300 Teilnehmern gerechnet worden, ihre tatsächliche Zahl lag zwischen 6.500 und mehr als 12.000, je nachdem, ob man den Schätzungen der Polizei oder denen der Veranstalter trauen möchte. Wobei es mit dem Vertrauen in die Polizei nicht mehr allzu weit her ist. Am 1. Juni hatten die Beamten bis zu 900 friedliche Bürger über Stunden eingekesselt, gepügelt und mit Pfefferspray attakiert – darunter auch ältere Menschen, Schwangere und Kinder. Es gab rund 200 Verletzte.
So ungewöhnlich brutal das Vorgehen der Polizei gewesen war, so einhellig war die Kritik daran. Für die OSZE erklärte deren Beauftragte für Pressefreiheit, Dunja Mijatovic: „Es muss sichergestellt werden, dass staatliche Vollzugsbehörden die Rechte und Pflichten der Medien respektieren.“ Neben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung äußerte sich sogar die antikapitalisitscher Agitation eher unverdächtige Bild empört über die Härte der Polizei – vor allem wohl, weil auch einer ihrer eigenen Reporter in den Kessel geraten war: „Die Luft, geschwängert durch Reizgas.Wir husten, die Augen tränen, die Nase läuft. 7 Stunden ist Bild eingekesselt, inmitten von Protest und Polizei.“
Der friedliche Demonstrationszug „gegen Willkür, Gewalt und die Einschränkung der demokratischen Grundrechte“, zu der neben Occupy auch die Gewerkschaften und alle Parteien des linken Spektrums aufgerufen hatten, folgte der gleichen Route wie am verhängnisvollen Samstag vor einer Woche. Unterstützt wurden die Demonstranten unter anderem von dem Kabarettisten Urban Priol, der Zustände „wie in Bayern“ widmete. Vielen Anwesenden schienen Vergleiche mit Moskau oder Istanbul treffener. Dabei richtete sich die Demo ausdrücklich gegen die politischen Verantwortlichen, nicht aber gegen die Polizei – die hat längst einen Arbeitskreis eingerichtet und zugesichert, alle Vorwürfe klären zu wollen. Dem Hessischen Rundfunk sagte eine Polizeisprecherin: „Die Kritik ist angekommen, wir haben’s gemerkt.“
Die Verantwortung liegt beim hessischen Innenminister Boris Rhein (CDU), der sich zuletzt um das Amt des Oberbürgermeisters beworben hatte. Am Donnerstag wies er in einer turbulenten Sitzung des Innenausschusses jede Verantwortung zurück. Er sei an der „strategischen Planung“ nicht beteiligt gewesen und habe sich nur über die Lage informieren lassen. Das Vorgehen der Polizei allerdings rechtfertigte er als „nachvollziehbar, richtig und vom Gesetz gedeckt“. Schließlich habe es massive Verstöße gegen das Versammlungsrecht gegeben. Tatsächlich hatte die Polizei Sonnenbrillen und Regenschirme als verbotene Vermummung eingestuft.
Und so gab es bei der Demonstration am vergangenen Samstag mehr Sonnenbrillen und Regenschirme als Plakate zu sehen – und häufig den Ruf „Rhein raus!“ zu hören. Die Polizei blieb diesmal auf Abstand, unbehelmt. ARNO FRANK