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Archiv-Artikel

Am Ende Doktor Eisenbart

TRETEN Punks in der Bischofsstadt, Ärger bei Bebra: der Fulda-Radweg führt von der Rhön bis ins niedersächsische Hann. Münden und ist auch für untrainierte Radfahrer zu schaffen

Auch Elch „Knutschi“, dessen Deutschland-Wanderung im vergangenen Herbst durch den Schuss aus einem Betäubungsgewehr tragisch endete, kam irgendwo hier durch

VON REIMAR PAUL

An Hann. Münden führt kein Weg vorbei. So ganz stimmt das natürlich nicht, doch das Städtchen im Südzipfel Niedersachsens ist Drehscheibe mehrerer Fernradwege. In Hann. Münden beginnen – oder enden – der Weser-Radweg, der Werra-Radweg, der Fulda-Radweg und der neue Weser-Harz-Heide-Radweg. Wir sind, an einem Wochenende, die Fulda entlang geradelt. Von der Quelle bis nach Hann. Münden, wo sich Fulda und Werra küssend zur Weser vereinigen. Der rund 200 Kilometer lange Fulda-Radweg ist bestens beschildert und auch für nicht austrainierte Radler gut geeignet. Er führt am Fluss entlang meist durch hügeliges und bewaldetes Gebiet sowie gemütliche, bisweilen etwas verschlafene Fachwerkstädte.

Die Fulda entspringt in der Nähe der Wasserkuppe. Der höchste Berg der Rhön gilt als Geburtsstätte des Segelfluges, bei gutem Wind kurven zahlreiche Flugzeuge und Drachenflieger am Himmel. Auf den ersten Kilometern des Radwegs lohnt ein Abstecher die Feldwege oder kleinen Straßen bergauf. Seit 1991 ist die Rhön Biosphärenreservat. Viele Weiden werden nur ein- oder zweimal im Sommer gemäht, im hohen Gras zirpt und wuselt allerlei Getier. Auch Elch „Knutschi“, dessen Wanderung durch Deutschland im vergangenen Herbst durch den Schuss aus einem Betäubungsgewehr tragisch endete, kam irgendwo hier durch. Zwei Mädchen, die neben einem Biergarten Hula-Hoop-Reifen kreisen lassen, kennen jemanden, der das Tier gesehen haben will.

Fürs erste Abendessen und Übernachten empfiehlt sich Fulda. Mit dem Dom und mehreren Museen – zum Beispiel dem Deutschen Feuerwehrmuseen und, etwas außerhalb, dem Barockschloss – gibt es viel Kultur zu besichtigen. Die Altstadt bietet eine überraschend vielfältige Kneipenszene. Sogar eine Gruppe von Punks wurde beim Eisessen gesichtet. Seinem schlechten Ruf als reaktionäre Bischofsstadt wurde Fulda bei unserem Besuch nicht gerecht.

Bislang eher ein Bach, wächst sich die Fulda hinter Fulda zu einem richtigen Fluss aus und mäandert in einem lang gestreckten Naturschutzgebiet vor sich hin. Wer Kraft für einen weiteren Abstecher hat, kann von Niederjossa auf die 15 Kilometer entfernte Burg Herzberg strampeln. Die vor 800 Jahren errichtete größte Höhenburg Hessens galt wegen ihrer exponierten Lage als uneinnehmbar, an ihr bissen sich im 30-jährigen Krieg etliche Armeen die Zähne aus.

Seit 1968 ist das Gelände an der Burg in jedem Juli Schauplatz eines mehrtägigen Hippie-Festivals, bei dem längst tot gesagte Bands wieder auferstehen. Für dieses Jahr haben neben vielen anderen Musikern Ex-Yardbird Jeff Beck, Hawkwind und Roger Chapman gemeldet.

Nervig empfanden wir die Wegführung rund um Bad Hersfeld: Der Radweg kreuzt zunächst die Autobahn A 4, dann mehrfach die viel befahrene Bundesstraße B 62 und führt schließlich über unübersichtliche Kreisverkehre zur B 27, die er noch für weitere zehn Kilometer eng begleitet. Nach dieser Erfahrung umfahren wir Bebra weiträumig – eingedenk auch Matthias Horx’ Warnung vor dem typischen Einwohner: „Der Bebraist liest Bild und kauft bei Aldi. Seine Muttermilch ist die Currywurst, seine Kirche die Bausparkasse, seine Droge heißt Persil.“

Halt machen wir stattdessen im Fachwerkstädtchen Rotenburg. Der Radweg führt durchs Zentrum, in den Gasthäusern auf dem kopfsteingepflasterten Marktplatz sitzen ein paar Touristen vor großen Bierkrügen. Vor zehn Jahren kürte die Internationale Förderation für Fußball-Historie und Statistik den Brasilianer Pelé in Rotenburg zum „Weltfußballer des Jahrhunderts“ – seitdem hat sich hier dem Augenschein nach nicht mehr viel getan.

Zwischen den Dörfern Morschen und Beiseförth sowie in Kassel müssen wir noch mal auf die Straße, ansonsten lassen sich die letzten 60 Kilometer bequem auf Radwegen fahren. Am Ziel in Hann. Münden hält der legendäre Wanderarzt Doktor Eisenbart gerade seine Sprechstunde ab: Ein als Eisenbart verkleideter Schauspieler kuriert die Magenprobleme und Nierensteine von Patienten aus dem Publikum. Unseren Muskelkater kann er aber nicht heilen.

Karten: Fulda-Radweg (1 : 50 000), BVA, 9,95 Euro. Fulda-Radweg (1 : 50 000), bikeline, 10,90 Euro