: Kein Rock ’n’ Roller
NEO-NOIR „The Killer Inside Me“ von Michael Winterbottom im Wettbewerb
Jim Thompsons „The Killer Inside Me“ gilt als Klassiker der US-amerikanischen Kriminalliteratur. Thompson setzte in den Fünfzigerjahren die von Autoren wie Dashiell Hammett oder Raymond Chandler begründete Tradition des gesellschaftskritischen Kriminalromans in den USA fort. In den populären Werken der „Schwarzen Serie“ wurden die Gesetzeshüter zumeist zu den wahren Gesetzesbrechern, zu psychopathischen und korrupten Bullen. In den Fünfzigern wagte man sich mit einer solchen Sicht der Dinge weit hervor. Interne Ermittler und öffentliche Kritiker waren noch etwas Schockierendes.
Lou Ford, Thompsons Hauptfigur aus „The Killer Inside Me“ von 1952, ist ein Prachtexemplar eines solchen zwischen eigenen Verbrechen und Verbrechensbekämpfung changierenden Bullen. In Winterbottoms Verfilmung wird das blasse und scheinbar angepasste Landei aus „Central City“ von Casey Affleck gespielt. Es ist zunächst der Rock-’n’-Roll-Mythos der Fünfzigerjahre, den Winterbottom in Ausstattung und Sound bedient. Sheriff Lou fährt im Oldsmobil zwischen Ölbohrtürmen spazieren, trägt Cowboyhut, raucht Zigarillos und klopft bei einer abseits auf dem Land wohnenden Prostituierten an die Tür. Diese, Amy Stanton, dargestellt von der wirklich sehr hübschen Kate Hudson, verpasst dem unscheinbaren, aber unberechenbaren Lou zu Beginn einige Ohrfeigen. Ab hier ist schon klar, dass wir nicht in einer Rock-’n’-Roll-Parodie Tarantinos oder der Gebrüder Coen sitzen.
Richtig: Winterbottom meint es ernst. Als gnadenloser Realist muss er zeigen, was gnadenlose Realisten für Realismus halten. Ein tragisches Missverständnis, weswegen wir den sich immer gnadenloser in seinen Widersprüchen verheddernden Kleinstadtbullen Lou bei immer gnadenloseren Szenen zuschauen müssen. Der in seiner Kindheit missbrauchte Film-Lou haut der Film-Kate das Gesicht ein. Kamera- und Soundtechnik sorgen dafür, dass wir genau wissen, wie so etwas aussieht und wie lange es dauert. Winterbottom hat keine Vorstellung, wie sich Gewalt darstellen lässt und wo die Grenzen dafür liegen. Und er ist sicher kein Rock ’n’ Roller wie Jim Thompson. Eine einzige surrealistische Sequenz am Ende entschädigt nicht für 118 Minuten naturalistische Schrumpfperspektive. ANDREAS FANIZADEH