Töten, rauchen, einkaufen

DÜSTER Die Gesichter sind gezeichnet von Alkoholmissbrauch und dumpfer Gewalt: Mit „Winter’s Bone“ und „Putty Hill“ sind zwei Filme im Forum zu sehen, die Menschen am Rand der US-amerikanischen Gesellschaft zeigen

Man sieht einem Mann beim Paintball-Spielen zu, einem Tätowierer beim Tätowieren und Schülerinnen beim Herumstreunen im Wald

VON ANDREAS RESCH

Es ist eine zutiefst archaische Welt, in die uns Debra Graniks zweiter Spielfilm „Winter’s Bone“ entführt. Überall raucht, dampft und qualmt es, überall dröhnen die Motoren, Kettensägen und Maschinen, überall bellen die Hunde, und ausgeweidete Tiere hängen in den Vorgärten. All dies erzeugt ein Gefühl von Bedrohung, ähnlich jenem, wie man es aus Horrorfilmen kennt, wo solche atmosphärischen Stilmittel gern eingesetzt werden, um auf etwas anderes, auf etwas noch Unbenanntes zu verweisen. Hier hingegen steht das alles für sich selbst und dokumentiert das raue Leben in den Wäldern von Missouri.

Protagonistin dieses düsteren Neowesterns ist Ree, ein siebzehnjähriges Mädchen, das sich auf die Suche nach seinem Vater begibt. Jessup ist kurz vor seiner Gerichtsverhandlung, er wird des Drogenhandels bezichtigt, verschwunden – nicht ohne vorher noch das Haus zu verpfänden, in dem Ree mit ihrer kranken Mutter und ihren beiden jüngeren Geschwistern lebt. Um ihr Heim zu retten und die Familie zusammenzuhalten, begibt sich Ree auf die Suche nach Jessup und taucht ein in eine Welt, so fremdartig und düster, als hätte Cormac McCarthy das „Texas Chainsaw Massacre“ neu verfilmt. In diesem Film ist jeder ganz für sich, die Gesichter sind gezeichnet von Drogen- und Alkoholmissbrauch und dumpfer Gewalt. Jeder Mann ist ein potenzieller Mörder, und auch die Frauen sind nicht viel besser – vielleicht höchstens ein wenig mehr noch in der Lage, die Konsequenzen des eigenen Handelns zu überblicken.

Die mit einer digitalen RED-Kamera aufgenommenen Bilder betonen diese Einsamkeit: Meist werden die Figuren von ihrer Umgebung isoliert, Mittel- und Hintergrund verschwimmen dann vollkommen. Kontrastiert werden diese Einstellungen von Landschaftstotalen, die dieses Gefühl von überwältigender Verlorenheit noch intensivieren.

Einen völlig anderen Weg, Menschen an der Peripherie der US-amerikanischen Gesellschaft zu zeigen, beschreitet „Putty Hill“ von Matt Porterfield. Alles beginnt in einem Zimmer: jenem Zimmer, in dem Cory, der große Abwesende dieses Films, vor wenigen Tagen an einer Überdosis Heroin gestorben ist. Es ist, als wolle die Kamera Corys Nicht-mehr-da-Sein kartografieren, als würde sie nach Anhaltspunkten für seinen Tod suchen.

Was folgt, sind Szenen, die in wenigen Einstellungen und improvisierten Dialogen Menschen, die Cory kannten, in Alltagssituationen zeigen. Man sieht seinem jüngeren Bruder beim Paintball-Spielen zu, einem Tätowierer beim Tätowieren, Schülerinnen beim Herumstreunen im Wald. Es wird geraucht, gesungen, eingekauft und gebadet. In fingierten Interviews sprechen Freunde und Verwandte über ihre Beziehung zum Toten. Überzeugen kann der Film hinsichtlich der Genauigkeit in der Beobachtung von Corys Lebenswelt. Hier geht es nicht um Kausalitäten, nicht darum zu erklären, warum Cory süchtig geworden oder warum er gestorben ist. Was narrative Offenheit, porträtierte Gesellschaftsschicht und pseudodokumentarische Erzählweise betritt, fühlt man sich an Harmony Korines „Gummo“ erinnert, auch wenn „Putty Hill“ weit weniger penetrant daherkommt.

Was dem Film nicht gelingt: Er kann jene Diskrepanz nicht begreiflich machen zwischen Gestern und Heute, zeigen, wie sich der Alltag trotz allgegenwärtiger Routine wenigstens ein bisschen verändert hat. So bleibt Cory nur ein erzählerischer Kniff, um die einzelnen Episoden zusammenzuhalten. Seine Abwesenheit wird nicht spürbar, sondern bleibt bloße Behauptung.

■ „Winter’s Bone“: heute, 20 Uhr, Colosseum; 21. 2., 19.30 Uhr, Babylon; „Putty Hill“: heute, 19 Uhr, Delphi; 21.2., 16:30 Uhr, Arsenal