: Familie ist populär
Das Kölner Wallraf-Richartz Museum zeigt die Keimzelle der Gesellschaft und ihre Darstellung vom 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart
AUS KÖLNANNETTE VON CZARNOWSKI
Die Ausstellung „Mit Kind und Kegel“ im Kölner Wallraf-Richartz Museum/Fondation Corboud schlägt drei Fliegen mit einer Klappe. Einmal bringt sie preiswerte Publicity fürs Jubiläum: Vierzig Jahre Vermittlungsarbeit des Kölner Museumsdienstes, dazu dient sie dem Museum zur Präsentation einer Neuerwerbung und sie zeigt eine kurzfristig zusammen gestellte Ausstellung mit einem gerade populären Thema.
Bestückt wurde die Schau komplett mit Werken aus den Beständen der Kölner Museen. Auf eine chronologische Darstellung wurde verzichtet. Stattdessen sind die Werke thematisch gruppiert. Die Neuerwerbung – das „Familienbildnis des Advokaten Dirck Toorenvliet“ (1687) vom Bruder und Leidener Feinmaler Jacob Toorenvliet – ist Mittelpunkt der Themengruppe „Wohlerzogene Kinder sind schöne Juwelen“. Es zeigt die Selbstdarstellung wohlhabender niederländischer Bürger am Ende des Goldenen Zeitalters: Auf einem Bühnenbild mit Säulen und Draperien posieren Eltern und Kinder und bieten richtige Aufgaben für eifrige Ikonographie-Entschlüssler: Hunde als Sinnbild gelungener Erziehung, Früchte und Papageien als Verweis auf Vergänglichkeit irdischen Glücks und Wohlstands. Kinder waren hier noch Aufgabe und Statussymbol.
Die Werke im Themenraum „Wir präsentieren uns“ widmen sich dann dem Idealbild: Auf Kaspar Benedikt Beckenkamps „Bildnis der Familie Johann Heinrigs“ spielt der Sohn mit pädagogisch wertvollen Waffen und auf Simon Meisters „Bildnis der Familie Werbrun“ von 1834 krönt der Vater als Patriarch die geschlossene Komposition. Als Kontrastprogramm hängt Thomas Struths Fotografie „The Smith Family“ daneben, auf dem die Familienmitglieder fast beziehungslos nebeneinander aufgereiht sind. Kindergeschrei, Ehekrach, Enge und Langeweile kommen erst in der Werkgruppe „Familie zwischen Ideal und Wirklichkeit“ zur Geltung.
Nur wenige Werke brechen die heutige europäische Vorstellung von Familie als bürgerlicher Kleinfamilie auf. Auch die Fotoporträts außereuropäischer Familien spiegeln den westlichen Blick der Fotografen. Die Bilder sind auf die Kleinfamilie konzentriert, Gefüge, zum Beispiel das Zusammenleben der Kernfamilie mit biologisch nicht verwandten Personen in vorindustriellen Gesellschaften, werden ausgeblendet (das lateinische „familia“ meinte noch die Gesamtheit aller in einem Haushalt Lebenden, also auch Dienstboten). Alleinerziehende, Stief- und Halbgeschwister, Patchworkfamilien und Vereinzelung: die Frage nach „Familie“ als biologischem oder sozialem Konstrukt taucht erst im 20. und 21. Jahrhundert wieder auf. Corinna Schnitt setzt in ihrer Fotoserie auf Irritation: sie posierte mit Familien an Stelle von Mutter, Tochter oder Schwester für ein „Familienfoto“ und filmte sich mit ihren Eltern bei einem grotesken „Familienritual“. Deutlich wird der Verlust der Kleinfamilie als Rückzugs- und Schutzraum. In Herlinde Koelbls Fotoserie von Familien im Repräsentationsraum Wohnzimmer und Intimraum Schlafzimmer sind es die, die nichts zu verlieren haben, die sich diesen Luxus leisten: eng aneinander gekuschelt mit Kleinkind posiert das englische Sozialhilfe-Empfänger-Paar, aufgenommen so richtig „von oben herab“.
Bis 26. März 2006Infos: 0221-22121119