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Archiv-Artikel

DORIS AKRAPLEUCHTEN DER MENSCHHEIT Ausufernde Faulheit

Okay, dass rechte Denker und Nazis steinalt werden, damit haben wir uns abgefunden. Zwar gibt es neben Altnazis auch Altlinke, in der Regel wird Letzteres aber nicht für das Alter eines Linken, sondern für die Überholtheit seiner Ansichten benutzt. Aber wann hat zuletzt eine altlinke Ansicht empörte Diskussionen ausgelöst? Politische Großdebatte ist fast nur noch, wenn irgendwer überholt geglaubte rechte Ansichten zum Besten gibt.

Thilo Sarrazin und die Kopftuchmädchen, Sloterdijk und der fiskalische Bürgerkrieg und jetzt mal wieder Westerwelle und sein neuester Scoop: der Sozialismus mit spätrömisch dekadentem Antlitz. Aufreger-Evergreens: Schnorrer, Penner, Hänger, Asyl-Betrüger, Florida-Rolf, Viagra-Kalle, früher gerne auch Zigeuner, Landstreicher oder Asoziale genannt.

Als Altkanzler Helmut Kohl dampfte und von der „ausufernden Faulheit im Freizeitpark Deutschland“ sprach oder sein Nachfolger Gerhard Schröder polterte, es gäbe kein „Recht auf Faulheit“, debattierte es ebenfalls heftig vor sich hin. Doch unter anderem jene Genossen, die derzeit Westerwelle an den Kragen gehen, hielten damals den Mund oder beklagten höchstens die Wortwahl. Im Übrigen auch heute oft die gleiche Reaktion: in den Worten vergriffen, in der Aussage nicht ganz falsch.

Sieht man vom Heuschreckenalarm, Managerbashing oder anderem Linkspopulismus ab, ist die Rolle des agent provocateur auf dem linken Flügel unbesetzt bzw. hat dieser sich diszipliniert in die Kunst oder die Soziologie zurückgezogen. Wie er da wieder rauskommt, versucht beispielsweise Ruth Sonderegger in ihrem Aufsatz: „Wie diszipliniert ist (Ideologie-)Kritik?“ (in: Rahel Jeaggi, Tilo Wesche [Hg.]: „Was ist Kritik?“. Suhrkamp 2009) zu klären.

So angenehm es auch ist, dabei zuzuschauen, wie Westerwelle von allen Seiten auf die Mütze kriegt, solange die von Paulus in seinem 2. Brief an die Thessaloniker verfasste Meinung weiterbesteht, dass wer nicht arbeitet auch nicht essen darf, ist nichts gewonnen.

Die Autorin ist Kulturredakteurin der taz Foto: privat