Die Kaderschmiede des Kapitals

Am Schlossplatz lernen die Unternehmensvorstände von morgen zeitgemäßes Führen. Nach langwierigen Startproblemen begann der erste Masterstudiengang an der ESMT. Die private Hochschule kürte sich schon mal selbst zur Avantgarde

„Wir möchten Avantgarde sein. Genau wie das Bauhaus“

Von Nina Apin

Wer führen will, muss früh aufstehen. Es ist Montagmorgen, 8.15 Uhr. Die Studenten der European School of Management and Technology (ESMT) haben bereits ihre Papers abgegeben, die sie zu Hause erarbeiteten. Im Foyer werten sie bei Sandwich und Milchkaffee das Wochenende aus. Das stand ganz im Zeichen von Kennenlernen und Hausaufgaben. Im Jargon der Privatuni heißt das „team building“ und „individual study“. Neben der Pflichtlektüre einer 50-seitigen Fallstudie aus der Wirtschaft absolvierten die 30 Teilnehmer des neu gestarteten Studiengangs Master of Business Administration (MBA) ein gemeinsames Outdoor-Camp.

Für Alexander Werner aus Dresden brachte die Veranstaltung nicht nur nasse Füße, sondern auch Einblicke in fremde Lebenswelten: Gespräche mit einer jungen Inderin und Praxis-Tipps für das Trocknen durchweichter Wandersocken von einem ehemaligen Berufssoldaten. Die interkulturelle Horizonterweiterung macht dem 30-jährigen Unternehmensberater nicht nur Spaß, sie wird auch von seinem Arbeitgeber bezahlt. Seine Firma übernimmt die 50.000 Euro Studiengebühren für den einjährigen Masterstudiengang, um hinterher von Werners besseren Führungsqualitäten zu profitieren.

Eine Lektion hat Alexander Werner auf dem Wandertrip bereits gelernt: „Führen heißt immer auch folgen.“ Daher hat er den Rat des Soldaten angenommen und die nassen Socken um den Hals gehängt. „Nicht schön, aber trotz alledem sehr effizient“, sagt Alexander.

Vielleicht ist seine etwas altmodische Wortwahl nur Zufall. Vielleicht färbt aber auch das Ambiente des Schulgebäudes auf die Studenten ab: „Trotz alledem!“ steht in schwungvollen Lettern auf dem bunten Fensterbild, das sich durch das ganze Treppenhaus zieht. Ein stolzer Lenin reckt das Kinn, und glückliche Werktätige halten die rote Fahne des Sozialismus hoch. Das Glasbild des DDR-Künstlers Walter Womacka illustriert, welche Ironie der Geschichte dem Haus am Schlossplatz Nummer 1 innewohnt. 1918 rief Karl Liebknecht vom Balkon des damaligen Stadtschlosses die Räterepublik aus. 1964 ließ der DDR-Staatsrat Portal und Balkon als historische Elemente in einen Neubau einbauen. Als Sitz der DDR-Führung beherbergte das Haus auch Honeckers Büro.

Nach der Wende diente es Bundesregierung und -nachrichtendienst als Zwischenquartier. 2002 kaufte das Land Berlin das marode Gebäude für 24 Millionen Euro vom Bund und überließ es der ESMT im Rahmen eines Erbpachtvertrags für einen symbolischen Euro. Man hoffte, in der erstklassig gelegenen Immobilie ein „deutsches Harvard“ zu etablieren.

Seitdem machte das Prestigeprojekt vor allem durch Finanzierungsprobleme, Personalmangel und verzögerten Baubeginn von sich reden. Ursprünglich sollte der Lehrbetrieb 2004 mit 200 bis 300 Vollzeitstudenten starten. Am 9. Januar 2005 schließlich begannen 30 Studierende. Die Renovierungsarbeiten waren erst kurz zuvor abgeschlossen. Die aufwändige Sanierung des denkmalgeschützten DDR-Juwels für 35 Millionen Euro wurde zum größten Teil aus Bankkrediten bezahlt.

Das Resultat ist allerdings beeindruckend: Der Lenin strahlt, die weißen Meißner Kacheln im Foyer glänzen wie neu, von den karierten Vorhängen im Honecker-Büro bis zu den Kugellampen im Sitzungssaal wurde jedes Detail liebevoll rekonstruiert. Dass sich die Pracht erst refinanzieren muss, vergisst man bei dem schönen Anblick schnell. Alexander Werner und seine Kommilitonen jedenfalls sind nicht wegen Lenin hier, sondern wegen der luxuriösen Studienbedingungen mit W-Lan-Zugang, elektronischer Bibliothek und Einzelarbeitsräumen. Und wegen 25 namhafter Unternehmen, die sich mit 80 Millionen Euro Stiftungskapital an der Schule beteiligen.

Den 34-jährigen Gagan Khurana lockten Namen wie DaimlerChrysler, Siemens oder Lufthansa nach Berlin. Der gebürtige Inder, der vor dem Studium eine Yamaha-Niederlassung in Mexiko leitete, strebt eine Karriere in einer großen deutschen Firma an. Er hofft, unter einer der Firmen, dank deren Stipendienfonds er sich das Studium leisten kann, einen passenden Mentor zu finden. In zwölf Praxis- und Projektwochen sollen die Studenten in ihre Mentorenfirma eingebunden werden. Ein Job ist nicht garantiert, aber wahrscheinlich: Wer so viel Geld in den Nachwuchs investiert, möchte die Früchte auch selbst ernten, so lautet die Logik des MBA-Studiengangs.

Doch vor der Projektarbeit liegen erst einmal 30 Wochen Unterricht. Punkt 8.30 Uhr beginnt die Vorlesung. Der 67-jährige ESMT-Gründer und -Präsident Derek F. Abell lehrt heute selbst. Unterrichtssprache ist Englisch, schließlich kommen die Studenten aus 15 Ländern. Abell selbst ist Brite.

Die 30 Teilnehmer wirken verloren in den amphitheaterartig angeordneten Sitzreihen. Der ehemalige Staatsratssitzungssaal bietet Platz für 100 Personen. Die Konferenzarchitektur ist behutsam in das Originaldekor eingepasst: Deckenornamente, holzgetäfelte Wände. Nur die Heizung funktioniert noch nicht. Einige sitzen mit Jacke vor ihrem Laptop. Dozent Abell bevorzugt ganz altmodisch Tafel und Kreide. Der Brite, der zuletzt an der renommierten Kaderschmiede IMD in Lausanne unterrichtete, hat ein Fallbeispiel aus seiner eigenen Familie mitgebracht. Es gilt, Abells Tochter und ihre Geschäftspartner beim Aufbau eines Immobiliengeschäfts in Südafrika zu beraten.

Ein Deutscher empfiehlt Frau Abell Junior ganz praktisch eine gute Haushaltshilfe, ein Inder hält das Unterfangen für aussichtslos. Abell hört zu, moderiert und steuert das Gespräch am Ende zu den harten Zahlen. Während die Studenten noch über dem Businessplan grübeln, schreitet Abell ins ehemalige Honecker-Büro, das jetzt eine Coffee-Lounge ist. Darin steht auch ein Flachbildfernseher ist.

„Wir bieten mit unserem MBA ein in Deutschland einzigartiges Lernkonzept“, sagt er, „wir wollen Avantgarde sein, genau wie das Bauhaus.“ Um praktische Anleitung und Kreativität ginge es und nicht um Theorie. Seit 2003 erprobt die ESMT diese Methoden in Managerfortbildungen und Firmenkursen. Die Resonanz der bisher 4.000 Teilnehmer sei positiv, sagt Abell. Das Fortbildungsangebot ist neben den Zinsen aus dem Stiftungskapital bisher einzige Einnahmequelle der Hochschule. Laut Abells Bericht an den Aufsichtsrat kamen 2004 statt der geplanten vier Millionen nur 700.000 Euro durch Kurse herein. Nicht gerade viel: Allein die Unterhaltskosten für das Gebäude werden auf jährlich 200.000 Euro geschätzt, dazu kommen Personalkosten für sieben Vollzeitprofessoren, fünf „faculty professionals“ ohne Habilitation, Gastdozenten aus der Praxis und Verwaltungsangestellte. Man muss kein Ökonom sein, um hier ein Finanzloch zu erkennen.

Für den Präsidenten sind solche Rechnereien kleinkariert. „Es dauert noch, bis der Laden läuft, aber wir sind auf einem guten Weg“, sagt er und skizziert Aufwärtskurven auf eine Serviette. Eine Jahreszahl, wann die Gewinnschwelle erreicht sein soll, will er nicht nennen. Derek F. Abell ist ohnehin nicht mehr lange im Amt. Bereits letztes Jahr kündigte er für September 2006 seinen Ruhestand an. Angeblich aus Altersgründen. Hinter vorgehaltener Hand munkelt man allerdings, dass der forsche Gründer für den verpatzten Start der Hochschule geradestehen müsse. Als Nachfolger Abells wird der WZB-Direktor Lars-Hendrik Röller gehandelt.

Besonders im Haus erwartet man Gutes von einem Personalwechsel: Die von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung betriebene Politikerschmiede Hertie School of Governance (HSOG) ist offizielle Kooperationspartnerin der ESMT und nutzt die Räume im 2. und 3. Stock des Hauses für ihren Lehrbetrieb. Die beiden privaten Kaderschmieden für den Wirtschafts- und Politikernachwuchs sollen sich langfristig nicht nur Bibliothek, Cafeteria und Mensa, sondern auch das Lehrpersonal teilen. Doch bisher fühlt man sich bei der HSOG nicht als gleichwertiger Partner behandelt. Aus dem Umfeld der Hertie-Stiftung ist zu hören, dass die ESMT überteuerte Mietpreise vom kleineren Partner verlange. Sogar auf ein eigenes Schild am Eingang habe man lange warten müssen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Derek F. Abell und HSOG-Präsident Zürner nicht grün sind. Mit einem Personalwechsel wird sich hoffentlich mehr als das nachbarschaftliche Verhältnis bessern.

Tatsächlich könnte sich die ESMT von der HSOG einiges abgucken: Dort verzichtet man auf hochtrabende Slogans wie „The path to leadership“, hat aber das renommiertere Lehrpersonal und eine wesentlich solidere Finanzbasis. Wer führen will, muss nicht nur früh aufstehen, er muss auch haushalten können. Sonst entsteht am Schlossplatz ein neues Witten-Herdecke. Auch diese Hochschule war als privat finanzierte Institution angetreten. Dann gab es Finanzprobleme. Inzwischen wird sie zu einem Drittel vom Land Nordrhein-Westfalen finanziert. Auf diese Art von Exzellenz kann Berlin verzichten. Zumal es mit der Fachhochschule für Wirtschaft in Schöneberg, der Steinbeis-Hochschule am Potsdamer Platz und der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Karlshorst bereits erfolgreiche Anbieter von MBA-Kursen für Manager gibt.