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Archiv-Artikel

„Auf den Tisch damit!“

In einem offenen Brief in der aktuellen „Zeit“ greifen 60 Migrationsforscher die Autorin Necla Kelek an – ihre Darstellung des Islam als reaktionäre Religion sei „unseriös“. Eine Stellungnahme

VON NECLA KELEK

In meinem Buch „Die fremde Braut“ habe ich aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland berichtet, über Zwangsheirat, arrangierte Ehen und Frauen geschrieben, denen ihre Familien die elementarsten Rechte verweigern. Das Buch hat eine heftige öffentliche Diskussion ausgelöst, weil es gegen eines der bestgehüteten Tabus der türkischen Gemeinschaft verstieß – es machte das Schicksal der gekauften Bräute öffentlich, die mitten in Deutschland ein modernes Sklavendasein führen. Jetzt werfen mir 60 Migrationsforscher aus Instituten in Hamburg, Köln und Bielefeld vor, ich hätte mit meinem Buch die Beachtung bekommen, die eigentlich ihnen zustehe.

Kurios daran ist, dass gerade diese Kritiker aus der gut ausgestatteten Welt der öffentlich finanzierten Migrationsforschung kommen. Sie hätten jahrzehntelang Zeit, Mittel und Gelegenheit gehabt, die Frage von Zwangsheirat, arrangierten Ehen, Ehrenmorden, Segregation und des Islam zu untersuchen. Sie hätten die Fragen stellen können, die ich gestellt habe. Sie haben es nicht getan, weil solche Fragen nicht in ihr ideologisches Konzept des Multikulturalismus passten. Damit haben sie das Tabu akzeptiert und das Leid anderer zugelassen.

Die Unterzeichner bestreiten nicht die Existenz von Zwangsheiraten, sehen diese aber als eine Art „Heiratsmarkt“, der sich der europäischen Abschottungspolitik verdankt. Gibt es also keine Zwangsheirat in Anatolien? Hat Europa eine Bringschuld gegenüber Ländern, die der EU beitreten wollen? Oder ist es nicht umgekehrt so, dass bestimmte Bedingungen in diesen Ländern erfüllt sein müssen, bevor sie der EU beitreten können? „Wenn es keine transparenten Möglichkeiten für Einwanderung gibt“, so schreiben die Migrationsforscher, „nutzen die Auswanderungswilligen eben Schlupflöcher“. Das soll doch wohl heißen, die Europäer sind für die Menschrechtsverletzungen in Kurdistan und für den Zwang zur Ehe im Islam verantwortlich. Die Unterzeichner bestreiten keineswegs die Existenz von Ehrenmorden. Doch „dafür gibt es bekanntlich Gesetze“, schreiben sie. Für mich offenbart sich darin ein merkwürdiges Selbstverständnis der unterzeichnenden Migrationsforscher. Offensichtlich verstehen sie ihren Beitrag zu gesellschaftlicher Aufklärung und zur Integration nicht so, dass solche kriminellen Praktiken verhindert werden, sondern sie wollen sie bestenfalls „in ihrem Entstehungskontext“ erklären können. Da habe ich in der Tat ein anderes Verständnis von meiner Aufgabe als Migrationsforscherin. Ich möchte mit meinen Arbeiten zur Integration beitragen und habe deshalb auch keine Probleme damit, mit dem Innenminister der Bundesrepublik, dem Bundesamt für Migration und anderen Stellen zusammenzuarbeiten.

Wer kritisiert, ich hätte „Einzelfälle zu einem gesellschaftlichen Problem aufgepumpt“, dem empfehle ich Werner Schiffauers Studie „Die Migranten aus Subay“, in der er anhand von acht Schicksalen über „die Türken in Deutschland“ Schlüsse zieht. Ein Standardwerk der Migrationsforschung.

Nach Max Weber ist alles Handeln „Mittel zum Zweck“. Ich verstehe deshalb auch, dass sich die 60 Migrationsforscher die Mühe machen, einen Brief zu schreiben. Sie haben Angst um ihre Forschungsmittel, sie merken, dass sie nicht mehr unwidersprochen vom unaufhaltsamen Weg der Migranten in die Moderne sprechen können, denn inzwischen haben viele Bürger, Politiker und Entscheidungsträger gemerkt, dass diese Institute der Integrationspolitik seit Jahren einen Bärendienst erweisen. Für mich sind es gerade diese Migrationsforscher, die seit 30 Jahren für das Scheitern der Integrationspolitik verantwortlich sind. Die Politik hat viel zu lange auf sie gehört. Die Unterzeichner beanspruchen, sich „auf Erkenntnisse zu stützen“, die „auf rationale Weise gewonnen wurden“: auf den Tisch damit!